Den Wandel meistern Wie werden aus Legacy-Unternehmen nachhaltige und smarte Mobilitätsanbieter?

Die Herausforderungen sind bekannt – mit geeigneten Lösungswegen scheint sich die Automotive-Welt hingegen weiter schwer zu tun. Auf diesen kurzen Nenner bringt der langjährige Branchenkenner und Consultant Joachim Langenwalter seine Diagnose des Ist-Zustandes: „Sowohl Automobilhersteller als auch Zulieferer stehen unbestreitbar vor einem grundlegenden Wandel – von Legacy-geprägten Unternehmen hin zu nachhaltigen, smarten Mobilitätsanbietern. Doch die gesamte europäische Branche hat auf diese Anforderungen offenkundig noch keine geeigneten Antworten gefunden.“

Joachim Langenwalter, der im Rahmen des Internationalen VDI-Kongresses ELIV 2023 unter anderem an einer Panel Discussion zum Thema Transformation teilnehmen wird, sieht insbesondere die OEMs noch nicht ausreichend auf die Veränderungen vorbereitet: „Die Hersteller in Europa tun sich erkennbar schwer damit, die Transformation und den damit verbundenen Kulturwandel zu gestalten.“ Zu möglichen Lösungswegen für einen erfolgreichen Transformationsprozess zählt der Branchenkenner die Stärkung der eigenen Technologie-Kompetenzen, engere Kooperationen mit Technologiefirmen oder auch die Nutzung gemeinsamer Plattformen. „Ideal wäre es, die Software-Einheiten von Null auf neu aufzusetzen – mit hoher Fachkompetenz, die in der Lage ist, Entscheidungen auf echter Experten-Ebene zu treffen.“

Im Wettbewerb um Talente

Hinzu komme, dass sowohl Automobilhersteller als auch Zulieferer vor der zusätzlichen Herausforderung stehen, beim Buhlen um Young Talents im Bereich Software und Künstliche Intelligenz (KI) gegen Tech-Giganten und Start-Ups konkurrieren zu müssen. „Für viele aufstrebende Programmierer und KI-Experten sind diese Tech-Unternehmen aktuell viel attraktiver als der klassische Automobilhersteller. Bisweilen versucht die automobile Branche, dies nach dem Motto Masse statt Klasse zu kompensieren – das ist allerdings bei Software- und KI-Projekten nicht zielführend, wie einige Hersteller schon schmerzlich erfahren mussten.“

Datenflut beherrschbar halten

Ein Kernthema auf technologischer Ebene, auf das noch keine überzeugenden Antworten gefunden wurden, betrifft den Bereich Big Data: Es sei nicht ausreichend, willkürlich und möglichst viele Daten zu sammeln, unterstreicht Langenwalter weiter: „Zielgerichteter ist es, vorher auszuwählen, welche Daten wirklich zielführend genutzt werden können und wie man sie in effizienter Form auswerten kann.“ Hierzu müssen die Rechenleistung und Speicherplatz im Fahrzeug erhöht werden, um die intelligente Auswahl zu ermöglichen und nach dem Softwareupdate die neuen Funktionen im Shadow-Mode zu testen.

Dazu wiederum sei zusätzlich eine Data Factory notwendig, in der aus den selektierten Daten zielführende Lösungen entstehen können. Der kombinierte Einsatz von intelligenter Auswahl und Test im Fahrzeug führt zur Kostenreduzierung im Bereich Data Factory (Speicher, Verarbeitung), Hardware-in-the-Loop-Systemen, datenbasierender Entscheidungsfindung (heute durch Kundenbefragungen), verkürzter Entwicklungszeit und besser Kundenorientierung, und letztendlich zu einem Fly-Wheel unterstützen Kundenwachstum. Langenwalter: „Auch in dieser Hinsicht sind aktuell sowohl OEMs als auch Zulieferer noch zu schwach aufgestellt.“

Komplexität der Produkte reduzieren

Der Weg zur elektrifizierten Mobilität und die wachsende Bedeutung etwa von Sharingdiensten und weiteren Mobilitätsanbietern macht es nach Ansicht der Experten darüber hinaus notwendig, die Komplexität der Modellpalette zu reduzieren. Es muss möglich sein, die neuen Features mit möglichst wenig Hardwarevarianten sicher zu testen und damit möglichst schnell zum Kunden zu bringen und damit deren Zufriedenheit und letztendlich das Wachstum zu beschleunigen „Tausende unterschiedliche Fahrzeugkonfigurationen und damit Varianten, wie wir sie heute noch kennen, dürften kein Zukunftsmodell mehr sein.“ Jede neue Funktion wird heute mit verschiedenen Kombinationen von Architekturen, Plattformen, Bildschirmen, Prozessoren, Steuergeräten etc. getestet und homologiert und kommt deshalb erst nach vielen Monaten oder Jahren auf den Markt – und damit weit hinter den OEM Startups aus China oder Tesla. Dies bedingt auch die Fähigkeit, das Zusammenspiel aus KI, Software, Prozessor und Hardware zu beherrschen. Dafür benötigt man diese Young Talents im Unternehmen und im Partnernetzwerk.

Kulturwandel auf Ebene des Managements

Mit dem Auftreten neuer Wettbewerber treffen darüber hinaus unterschiedliche Denkweisen aufeinander, schildert Langenwalter abschließend: „Auf der einen Seite Automobilmanager mit ihrem eher traditionellen Top-Down-Ansatz, Systeme am besten auf Jahre hinauszuplanen und hauptsächlich nur zu integrieren. Und auf der anderen Seite agile Anbieter, die bewusst auf Flexibilität setzen und ihre Fahrzeug- und Software-Architekturen auf mögliche zukünftige Features ausrichten, die sie heute selbst noch nicht kennen. Hinzu kommt die Möglichkeit, diese Features dann Over The Air (OTA) nachzuladen und zu monetarisieren. “ Deshalb gehörten nach seinen Worten zur Transformation auch ein Kulturwandel im Unternehmen, neue personelle Kompetenzen sowie die Möglichkeit einer technischen Karriere bis in die höchsten Stufen eines Unternehmens und die damit verbundene Anerkennung: „Das Beharren auf vorhandenen Strukturen und langen Entscheidungswegen hat die Branche erkennbar in eine Sackgasse geführt. Nur durch die überfällige Transformation werden wir in Europa unsere Position im Automobilmarkt halten oder sogar verbessern können und damit wieder zu den Technologieführern gehören.“

Zur Person:

Quelle: Privat

Quelle: Privat

Mit seinem Hintergrund in führenden Tech- und Automobilfirmen wie Autobrains und Stellantis berät und unterstützt Joachim Langenwalter bei der Transformation zu nachhaltigen Technologie- und Mobilitätsunternehmen.