Beim Spielen arbeiten? – Beim Arbeiten spielen?
Neue Formen der individualisierten Produktion
Industrie 4.0 hat schon sehr früh den Fokus auf eine hochgradig effiziente, flexible und innovative Produktion mit einem ganzheitlichen MTO Konzept (Mensch, Technik und Organisation) gesetzt. Der Mensch kann sich dabei mit seinen individuellen Fähigkeiten mehrheitlich in die überwachende und steuernde Funktion technischer Prozesse einbringen. Technische Systeme mit einem hohen Automatisierungsgrad übernehmen dabei die Produktion. Es zeigt sich jedoch, dass bei der Vielfältigkeit und Komplexität der unterschiedlichen Produkte und Fertigungsschritte der Mensch für gewisse Randbedingungen unverzichtbar ist. Seine Fähigkeit, Sachverhalte blitzschnell einzuschätzen, neue Strategien zur Problemlösung zu entwickeln und pragmatisch vorzugehen ist durch technische Systeme, selbst mit der Hilfe von künstlicher Intelligenz, heute kaum zu realisieren.
In diesem Spannungsfeld komplexer manueller Produktionsschritte stehen Mitarbeitende, gerechte Arbeitsplätze und verbesserte Mensch-Maschine-Interaktion durch selbstlernende Systeme und benutzerfreundliche Schnittstellen mit der Unterstützung von AR (Augmented Reality) und VR (Virtual Reality) Technologien im Vordergrund der digitalen Wandlung.
Mehrheitlich werden diese Veränderungen so bedeutend eingeschätzt, dass man schon von Industrie 5.0 spricht. Man unterstreicht dabei die engere Zusammenarbeit von Mensch und Maschine sowie die Unterstützung von Nachhaltigkeit und Resilienz sowie weiteren technischen Faktoren. Ein zunehmend wichtiger Aspekt ist dabei die stärker personalisierte Produktion. Der Mensch tritt in den Vordergrund und kann seine persönlichen Fähigkeiten, wie Kreativität und Problemlösungsfähigkeit, zur Steigerung der Effizienz einsetzen. Industrie 5.0 adressiert dabei weiche Faktoren, wie ethische Aspekte der Produktion und das Wohlbefinden der Arbeitenden. Durch ergonomische, menschenzentrierte Gestaltung der Produktionsumgebung können neue Technologien zum Nutzen der Arbeitenden eingebracht werden.
An der FH-Aachen werden am Institut für angewandte Automation und Mechatronik (IaAM) neue Formen der digitalen Arbeit entwickelt und zusammen mit industriellen Partnern, typischerweise im Mittelstand, umgesetzt und durch Arbeitspsycholog*innen bewertet und gemeinsam weiterentwickelt. In dem Forschungsprojekt GAMIPro Gamification in der Produktionsunterstützung, konnte ein Konzept und ein Arbeitsplatz entwickelt werden, der Mitarbeitende im Produktionsumfeld bedarfsgerecht und hoch individuell während der Arbeit unterstützt.
Das Projekt ist exemplarisch für die neuen Herausforderungen an menschenzentrierte Arbeitsumgebungen im Kontext Industrie 5.0. Typischerweise sind auf dem Arbeitsmarkt kaum Fachkräfte in der Produktion in Deutschland zu finden. Mitarbeitende müssen umfangreich eingewiesen und geschult werden, um den Anforderungen des Arbeitsmarkts gerecht zu werden. In der Regel findet man heute in Produktionsbetrieben multikulturelle Mitarbeitende. Diesem Trend Rechnung tragend, werden im Projekt Mitarbeitende im Produktionsumfeld bedarfsgerecht während der Arbeit unterstützt und gefördert. Hierzu wird ein Assistenzsystem mit Gamification-Ansätzen kombiniert, um eine individuelle, sprachunabhängige, fähigkeitsabhängige Arbeits- und Lernumgebung zu schaffen.
Als Testbed dient ein industrie-üblicher Montagearbeitsplatz bei einem mittelständischen Produktionsunternehmen. Der Arbeitsplatz wurde im Retrofit um technische Assistenzsysteme erweitert, so dass, angeleitet durch den digitalen Assistenten, eine Null-Fehler-Produktion möglich wird. Das Assistenzsystem ist adaptiv und wird durch einen Gamingengine gesteuert. Dieses ermöglicht, die Arbeitsschritte in ihrer Effektivität und Qualität zu bewerten und die Benutzenden in unterschiedliche Level einzuordnen.
Hierzu wird konsequent eine Pick-to-Light Infrastruktur eingesetzt, so dass alle wertschöpfenden Tätigkeiten der Mitarbeitenden angezeigt und bewertet werden. Dies bietet die Möglichkeit, tiefgehende Performanceanalyse sowie die Klassifikation von Interpretations-, Korrektur- und Tätigkeitszeiten durchzuführen. Das inkrementelle Monitoring einzelner Arbeitsschritte, anhand von Performance- und Qualitätskriterien, stellt die notwendigen Informationen für das integrierte Gamification-System zur Verfügung und bietet essenzielle Informationen zur Prozessanalyse und Evaluation des Gesamtsystems.