Abbildung 1: Validierung als integraler Bestandteil im Entwicklungsprozess von Medizinprodukten (Bildquelle: B.Braun Melsungen AG)

Leitplanken setzen für die Validierung von Kunststoffverarbeitungsprozessen

Ein neues VDI-Richtlinienvorhaben ProValiMed gestartet

Stefan Roth, Thomas Seul, Angewandte Kunststofftechnik, Hochschule Schmalkalden

Die Validierung von Kunststoffverarbeitungsprozessen ist mit der neuen Medizinprodukterichtlinie noch stärker in den Fokus gerückt. Während die Inverkehrbringer von Medizinprodukten dazu bereits Ansätze für die eigenen Herstellprozesse erarbeitet haben, ist das richtige Vorgehen in der Validierung der Prozesse insbesondere für die Komponentenhersteller eine große Herausforderung. Mit dem VDI-Richtlinienvorhaben 2023 „Validierung von Kunststoffverarbeitungsprozessen für die Medizintechnik – ProValiMed“ ist eine Initiative gestartet, um Rahmenbedingungen zu definieren und so Leitplanken für den Validierungsprozess zu setzen. Ziel ist es, mit der Richtlinie einen allgemein abgestimmten Konsens im Sinne einer „good practice“ zu schaffen Durch das Richtlinienvorhaben soll letztendlich ein Handlungsleitfaden für die Validierung entstehen, der es den Verarbeitern ermöglicht, die eigenen Prozesse für die Herstellung von Medizinprodukten „fit“ zu machen.

Die Sicherheit von Anwender und Patienten sind für Medizinprodukte unabdingbare Anforderungen. Neben der klinischen Bewertung und Prüfung der Gebrauchstauglichkeit kommt daher der Validierung von Produkt- und Herstellprozesseigenschaften im Entwicklungsprozess eine besondere Bedeutung zu (s. Abbildung 1).

Abbildung 2: Themenfelder der VDI-Richtlinie 2023 „ProValiMed“

Internationale Regelwerke, wie die erst kürzlich im Hinblick auf erhöhte Anforderungen an Patientensicherheit überarbeitete Medizinprodukteverordnung MDR 2017/745 [MDR17] der Europäischen Union fordern eine Validierung der Herstellprozesse im Rahmen des Entwicklungsprozesses. Durch die MDR 2017/745 ist die Sicherheit als grundlegende Leistungsanforderung für das Medizinprodukt als essentiell definiert. Auf Anforderungen an eine Validierung des Prozesses wird nicht explizit eingegangen. Für die Technische Dokumentation, speziell für die Informationen zur Auslegung und Herstellung, fordert die Verordnung jedoch „vollständige Informationen und Spezifikationen einschließlich der Herstellungsprozesse und ihrer Validierung, der verwendeten Hilfsstoffe, der laufenden Überwachung und der Prüfung des Endprodukts.“ (MDR 2017/745, Anh. II, Pkt. 3b). Weiterführende Erläuterungen zur Validierung werden offengelassen. Standards zur Beschreibung von Qualitätsmanagementsystemen für Medizinprodukte wie die ISO 13485 [ISO16] führen hingegen den Begriff der Validierung weiter aus:

„Die Organisation muss sämtliche Prozesse der Produktion und Dienstleistungserbringung validieren, deren Ergebnis nicht durch nachfolgende Überwachung oder Messung verifiziert werden kann oder verifiziert wird, wodurch sich Unzulänglichkeiten erst zeigen, nachdem das Produkt in Gebrauch genommen oder die Dienstleistung erbracht worden ist.“ (ISO 13485, Pkt. 7.5.6 Validierung der Prozesse zur Produktion und Dienstleistungserbringung).

Zu der gleichen Einschätzung kommt auch der Erfahrungsaustauschkreis der nach dem Medizinproduktegesetz benannten Stellen (EK-Med), ein nationales Gremium der Zentralstelle der Länder für Gesundheitsschutz bei Arzneimitteln und Medizinprodukten. Als zu validierende Prozesse werden Sterilisationsprozesse, Reinigungsprozesse, aseptische Abfüllung, Verpackungsprozesse für Sterilprodukte, Beschichtungsprozesse, Spritzguss, Löten, Kleben, Schweißen benannt [EKM07].

Es ist erkennbar, dass eine Validierung des Prozesses prinzipiell gefordert ist, auf explizite Vorgaben zur Validierung verzichten die Regelwerke aber bewusst und legen diese in die Hände des Inverkehrbringers. Einen ersten Lösungsansatz zur Validierung speziell für den Verarbeitungsprozess Spritzgießen will das AiF-Projekt „ValiData“ liefern. Das Institut für Kunststoffverarbeitung (IKV) Aachen untersucht zurzeit im Rahmen einer industriellen Gemeinschaftsforschung Methoden zur Validierung von Spritzgießprozessen für die Medizintechnik durch Strategien der Prozessregelung [AIF20].

Die Hersteller von Medizinprodukten haben mittlerweile eigene Strategien und Ansätze zur Validierung, angepasst auf ihre Produkte und Herstellprozesse entwickelt und mit den Benannten Stellen abgestimmt. Die ist eine branchenübliche individuelle Vorgehensweise, die aber auch daraus resultiert, dass Standards und Richtlinien zur Orientierung bisher für diese Thematik nicht vorhanden sind.

Insbesondere klein- und mittelständisch geprägte Inverkehrbringer oder Komponentenhersteller, die für verschiedene Inverkehrbringer als Lieferant agieren, sehen sich aber vor dem Hintergrund der wachsenden Anforderungen an die Prozessvalidierung großen Herausforderungen gegenüberstehen. Gilt es doch, die eigenen Herstellprozesse entsprechend zu organisieren und einen regelwerkkonformen Validierungsprozess zu etablieren. Eine Prozessvalidierung beansprucht zeitliche als auch kapazitive Ressourcen. Sie muss zum richtigen Zeitpunkt eingeplant und berücksichtigt werden. Nicht zu unterschätzen ist der dokumentarische Aufwand, der mit einer Validierung verbunden ist. Unterschiedliche Sichtweisen über die Inhalte und die Vorgehensweisen im Rahmen einer Validierung zwischen Kunden und Lieferanten sorgen mitunter nicht nur für Reibungsverluste und Unfrieden im Projektablauf, sie können sogar zu einer erheblichen zeitlichen Verzögerung führen.

Der Bedarf an einer Rahmenrichtlinie für Kunststoffverarbeitungsprozesse wurde durch den VDI-Facharbeitskreises „Kunststoffe in der Medizintechnik“ erkannt. Im April 2021 wurde das VDI-Richtlinienvorhaben 2023 „Validierung von Kunststoffverarbeitungsprozessen für die Medizintechnik – ProValiMed“ ins Leben gerufen. Ziel ist die Erarbeitung eines Leitfadens, der Leitplanken für die Validierung für Herstellprozesse von Kunststoffkomponenten vorgibt. Dies soll insbesondere den Komponentenherstellern ermöglichen, eigene Validierungsprozesse darauf aufbauend zu konzipieren. Im Fokus der Richtlinie steht der Spritzgießprozess, wobei die Richtlinie aber auch auf andere Kunststoffverarbeitungsprozesse wie Extrusion, Folienherstellung, Schweißprozesse angewendet werden kann. So soll es auch für bisher branchenfremde Hersteller möglich sein, die eigenen Prozesse entsprechend auf die Anforderungen der Medizintechnik auszurichten, um in der Branche Fuß zu fassen. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, dass die Kunden auf diese Leitplanken referenzieren können. Oftmals ist der Inverkehrbringer kein Experte im Kunststoffverarbeitungsprozess. Muss er ja auch nicht sein. Für beide Seiten gilt es daher, die Anforderungen zu erfüllen, aber auch nicht aufgrund von Unwissenheit unnötig über das Ziel hinauszuschießen.

Der Arbeitskreis besteht aus rund 25 Vertreterinnen und Vertretern von Inverkehrbringern, Herstellern von Kunststoffkomponenten, Hochschulen und Maschinenherstellern sowie Expertinnen und Experten aus der statistischen Datenanalyse. Gemeinsam wurde im letzten Jahr damit gestartet, die Struktur der Richtlinie zu konzipieren und Stück für Stück mit Inhalten zu füllen. Durch die Richtlinie werden die verschiedenen Aspekte der Validierung für den Komponentenhersteller und Inverkehrbringer adressiert (s. Abbildung 2).

So sollen Rollen und Zuständigkeiten der Akteure definiert werden. Der Bereich „Regulatorische Anforderungen“ beschreibt den Kontext des Themas Validierung zu den gesetzlichen Vorgaben. Das Konzept der Validierung fußt auf einem risikobasierten Ansatz im Hinblick auf die Anwendung des Medizinproduktes, welches in einem eigenen Kapitel dargelegt wird. Die Methoden der Statistik und Prüfspezifikationen bilden den statistischen Werkzeugkasten der Validierung, Begriffe wie Stichprobenanalyse, AQL-Werte oder Prozessfähigkeit sollen dadurch erläutert werden. Das Vorgehen zur Ermittlung von Prozessgrenzen und Validierungsstrategien, beispielsweise zur Ähnlichkeitsbetrachtung und Analogieschlüsse für die Validierung von vergleichbaren Prozessen bis hin zu Handlungsempfehlungen für die Revalidierung oder das Vorgehen bei Änderungen am Prozess (Change Management) machen ebenfalls einen wichtigen Bestandteil der Richtlinie aus. Weitere Themen sind der Umgang mit Prozessdaten und die Dokumentation zur Validierung.

Die Validierung des Medizinproduktes selbst ist nicht Gegenstand der beschriebenen Richtlinienarbeit, fällt diese doch in den Verantwortungsbereich des Herstellers. Der Fokus der Richtlinienarbeit soll vielmehr auf die Erarbeitung von Validierungskonzepten für den Herstellprozess der Komponenten im Hinblick auf die genannten Verfahren gelegt werden und damit insbesondere auch die Hersteller von Kunststoffkomponenten wie mittelständisch geprägte Verarbeiter aber auch Hersteller von Medizinprodukten ansprechen.

Wie sieht der weitere Fahrplan aus? Nachdem die Struktur der Richtlinie nun steht, erfolgt momentan die Ausarbeitung der verschiedenen Themenfelder im im gemeinsamen Dialog. Der Arbeitskreis versteht sich dabei nicht als geschlossener Zirkel, weitere Interessenten, die ihre Expertise zu den Themen einbringen möchten, sind hochwillkommen und können gerne Kontakt über die Autoren dieses Artikels zum Arbeitskreis aufnehmen. Mit einem Entwurf, dem sogenannten „Gründruck“, welcher der Öffentlichkeit zur Diskussion vorgestellt wird, ist Anfang 2023 zu rechnen.

Letztendlich soll die entstehende Richtlinie zur Vereinheitlichung des Vorgehens in der Prozessvalidierung für Kunststoffkomponenten beitragen, um durch abgestimmte Validierungskonzepte und die dazugehörige Dokumentation Kosten und Zeit im Validierungsprozess einzusparen und dabei so einen Beitrag zu sicheren Produkten zu leisten.

[AIF20]
AiF Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsvereinigungen 'Otto von Guericke' e. V.: Entwicklung einer effizienten Methodik zur Validierung von Spritzgießprozessen am Beispiel der Medizintechnik durch Integration neuer Regelungs- und Qualitätssicherungsstrategien – ValiData, Vorhaben Nr. 21127 N, Laufzeit 01.05.20 – 30.04.22

[EKM07]           
Erfahrungsaustauschkreises der nach dem Medizinproduktegesetz benannten Stellen (EK-Med): Validierung von Prozessen der Produktion und der Dienstleistungserbringung (einschließlich Software), Zentralstelle der Länder für Gesundheitsschutz bei Arzneimitteln und Medizinprodukten, Dokument 3.9 B 18, Juni 2007

[ISO16]              
DIN EN ISO 13485: 2016-08: Medizinprodukte - Qualitätsmanagementsysteme - Anforderungen für regulatorische Zwecke

[MDR17]           
Verordnung (EU) 2017/745 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2017 über Medizinprodukte

Zu den Autoren:

Prof. Dr.-Ing. Stefan Roth ist Professor für Produktentwicklung und Konstruktion an der Hochschule Schmalkalden und Vorsitzender des VDI-Fachausschusses „Kunststoffe in der Medizintechnik“; s.roth@hs-sm.de

Prof. Dr.-Ing. Thomas Seul ist Professor für Fertigungstechnik und Werkzeugkonstruktion an der Hochschule Schmalkalden sowie Präsident des Verbands Deutscher Werkzeug- und Formenbauer (VDWF e. V.), er leitet den VDI-Richtlinienausschuss 2023 „ProValiMed“; t.seul@hs-sm.de

VDI-Richtlinie

VDI-Richtlinien verstehen sich als technische Regelwerke, die Qualitätsstandards in unterschiedlichsten Bereichen der Technik setzen. Fachexpertinnen und -experten kommen hierzu in Richtlinienausschüssen zusammen und erarbeiten ehrenamtlich Richtlinien zu Technologien, Prozessen, Materialien und Verfahren. Die Koordination und Herausgabe obliegt dem Verein Deutscher Ingenieure (VDI) e.V.. Die zweisprachig deutsch/englisch gehaltenen Richtlinien gelten als besonders praxisnah. Eine Richtlinie erscheint zuerst als sogenannter „Gründruck“ im Entwurf. Dem schließt sich eine Kommentierungsphase an, indem jeder die Möglichkeit hat, Kommentierungen und Hinweise an den Fachausschuss zu adressieren. Nach Bewertung und ggf. Berücksichtigung durch den Fachausschuss erscheint die finale Fassung als „Weißdruck“. Mittlerweile sind so über 2.200 Richtlinien entstanden, die breite Anwendung in der Industrie finden