Selbstmarketing und Vernetzung – muss das denn sein?

"Wenn dein Umfeld von deiner Leistung sehr positiv überrascht ist, hast du entweder außergewöhnlich gut performt oder ein schlechtes Selbstmarketing."  Dagmar Rissler

Über Sinn und Unsinn von Selbstmarketing werden zahlreiche Bücher verfasst. Die Haltung Einzelner dazu ist sehr unterschiedlich. Die einen posten alle fünf Minuten einen Beitrag auf LinkedIn oder Instagram, andere wiederum tun sich bereits schwer, bei einem Kaffee mit einem Kollegen oder einer Kollegin über eine persönliche Stärke oder einen kürzlich gemachten Erfolg zu sprechen. Und spricht dann mal eine Kollegin von ihrer „Ich-Marke“, dürfte sie mit hoher Wahrscheinlichkeit mit einem Kopfschütteln rechnen.

Die Gründerin des Unternehmens „Global Digital Woman“ Tijan Onaran schrieb das Buch mit dem Titel „Nur wer sichtbar ist, findet auch statt.“ Und mittlerweile irritiert es, wenn im digitalen Zeitalter ein Unternehmen oder eine Person nicht „gegoogelt“ werden kann.

Jedoch wird der Begriff Marketing in der Regel nicht mit dem eigenen Handeln im beruflichen Kontext in Verbindung gebracht und findet daher im professionellen Alltag, gerade auch in technischen Berufen, nicht statt.

Gleichzeitig bleiben gute Talente im Unternehmen oft im Verborgenen, weil die Fähigkeit zum Selbstmarketing, also die eigene Expertise gut zu kommunizieren, fehlt. Außerdem ist es für viele Menschen ungewohnt positiv über sich selbst zu sprechen und Selbstmarketing ist für sie negativ konnotiert.

Möchte man aber die eigene Karriereplanung selbst steuern und nicht dem Zufall oder dem Renteneintritt des Vorgesetzten überlassen, tritt Selbstmarketing auf den Plan.

Und dafür kommt es, neben der fachlichen Expertise, auch darauf an, die eigenen Leistungen und Fähigkeiten gut zu kommunizieren und sich intern und extern professionell aufzustellen. Doch was heißt das konkret?

Kurz zusammengefasst geht es beim Selbstmarketing um ein gutes Bewusstsein für die Karriere-Ziele, eine Klarheit für die eigenen Stärken und Fähigkeiten und das Erreichen von mehr Sichtbarkeit innerhalb des eigenen Teams, gegenüber dem Mitarbeitendenkreis oder der Kundschaft.

Die Sichtbarkeit kann durch „Markenzeichen“ wie beispielsweise ein besonderer Kleidungsstil, ein Motto, spezielle Farben oder ein auffälliges Profilbild erhöht werden. Auch das Erstellen von Beiträgen im Intranet oder sozialen Medien oder die Mitarbeit in übergreifenden Themen (Digitalisierung, Diversity etc.) kann – sofern darüber berichtet und nicht im Verborgenen gearbeitet wird – die eigene Sichtbarkeit bei den Kolleg*innen erhöhen und den Expert*innen-Status festigen.

Das eigene Potenzial wird noch besser entfaltet, indem man „drüber redet“ und „gesehen wird“.

Selbstmarketing und die damit verbundene Vernetzung sind wichtige Säulen bei der Karriereplanung und beruflichen Weiterentwicklung.  

Die Leitfragen beim Selbstmarketing

Wie auch im klassischen Marketing werden wichtige Fragen, aber in diesem Fall nicht rund um das Produkt, sondern um die sogenannte „Ich-Marke“ – also der eigenen Person beantwortet.

Im Wesentlichen geht es beim Selbstmarketing um folgende Leitfragen:

  1. Die perspektivische Ausrichtung im Blick: „Warum mache ich diesen Job in diesem Unternehmen? Was ist meine Motivation?
      Was ist mein Ziel? Mittel- oder Langfristig?“
  2. Die Expertise im Blick: „Wofür will ich im Unternehmen gesehen werden? Mit welchen Stärken, Talenten, guten Kontakten
      oder Expertise will ich in Verbindung gebracht werden? Was ist mein „Thema“ (Fach- oder Metathema), für das ich brenne?
      Gibt es ein Alleinstellungsmerkmal (im englischen USP), das ich mitbringe?“
  3. Die richtigen Personen im Blick: „Wer ist meine Zielgruppe? Bei wem will ich punkten? Mit wem möchte ich mich vernetzen?“
  4. Den richtigen Zeitpunkt im Blick: „In welchen Situationen (z.B. Team-Meetings, Gespräche mit Kund*innen) brauche ich ein
      gutes Selbstmarketing bzw. mehr Sichtbarkeit?“
  5. Die Umsetzung im Blick: „Wie bringe ich meine Botschaft an den Mann oder die Frau? Wie erhöhe ich meine
      Sichtbarkeit im Unternehmen?“
  6. Den eigenen Invest im Blick: „Was bin ich bereit für mehr Sichtbarkeit zu investieren
      (z.B. Fortbildung, Zeit für Netzwerkaktivitäten, etc.).“

Hilfreich ist in diesem Zusammenhang auch das Feedback von Kolleg*innen, Vorgesetzten oder auch Freund*innen. „Was kommt bei anderen an? Wie wirkt man? Eher intro- oder extrovertiert? Welche Talente und Stärken werden einem zugeschrieben? Gibt es ein fachliches oder persönliches Thema, mit dem man in Verbindung gebracht wird?“

All diese Aspekte schärfen den Blick auf sich selbst und geben Hinweise, die man selbst vielleicht noch nicht an sich entdeckt hat, und die es zukünftig gilt zu kommunizieren.
 

Stolpersteine beim Selbstmarketing

Der Grad zwischen einer guten Story über das letzte Erfolgsprojekt und Wichtigtuerei kommt einem jedoch manchmal schmal vor. Nicht nur in der Weltgeschichte, sondern auch im Büro nebenan können große Egos mit einem hohen Geltungsbedürfnis das Selbstmarketing übertreiben. So werden Geschichten erzählt, dass George Washington als „seine Hoheit, der Präsident der Vereinigten Staaten“ angesprochen werden wollte.

Man könnte auch behaupten, dass extrovertierte Menschen von Haus aus mehr Sichtbarkeit durch ihre Präsenz und Körpersprache erzeugen, bzw. dass es ihnen leichter fällt. Vielleicht melden sie sich in Meetings öfters zu Wort oder erzeugen bereits beim Eintritt in den Meeting-Raum (in Präsenz oder virtuell) mehr Aufmerksamkeit als eher introvertierte Menschen. Vielen Introvertierten fällt aber vielleicht das Zuhören leichter, das eine gute Grundlage für Vernetzung ist, denn durch Zuhören zeigt man Empathie und Respekt.

Das sogenannte „Impostor-Syndrom“ (Hochstapler-Syndrom) ist eine weitere Falle beim Selbstmarketing. Hier hat man ständig das Gefühl, dass die eigenen beruflichen Leistungen nicht ausreichen und sie den Job nicht verdient haben.

Sämtliche negativen Glaubenssätze (wie z.B. „Ich habe das nicht verdient.“) sind Stolpersteine, denn das, was man innerlich glaubt, strahlt man in der Regel auch nach außen aus.

Positive Vorbilder sind grundsätzlich hilfreich. Es lohnt sich zu prüfen, ob im eigenen Unternehmen Personen mit einem guten Selbstmarketing arbeiten. Sie könnten als Mentor*innen für Feedback und Sparring angesprochen werden.
 

Selbstmarketing und Vernetzung braucht Zeit und Aufmerksamkeit

Einen Beitrag für das Intranet verfassen, mit Multiplikator*innen einen Kaffee trinken oder auf eine Branchen-Veranstaltung gehen und dort mit interessanten Personen sprechen: All das kostet Zeit und sollte im besten Fall gut durchdacht und geplant werden. Viele Führungskräfte nutzen Termin-Blocker im Kalender für gezielte Selbstmarketing- und Vernetzungs-Aktivitäten.

Im Übrigen bedeutet Netzwerken mehr als nur Sammeln von möglichst vielen Kontakten oder das übermäßige Liken auf sozialen Plattformen. Gut gemachte Vernetzung bringt viele Chancen mit sich. Der Austausch von Ideen und Impulsen zu neuen Entwicklungen am Markt, ein konstruktives Feedback zu eigenen Projekten oder das Kennenlernen von Kontakten der eigenen Kontakte.

Und auch ruhige Menschen können Netzwerkaktivitäten nutzen, es braucht vielleicht ein wenig mehr Übung. Man könnte mit einer Verabredung zum Mittagessen im Monat anfangen und steigert sich im Laufe der Zeit.

Es gibt keine „One Size Fits All“-Strategie, sondern sinnvollerweise entwickelt man seine individuelle Vorgehensweise. Wichtig ist es dabei, sowohl gezielt mit den eigenen Stärken zu punkten wie auch ganz bewusst individuelle Stolpersteine mit Blick auf das gesetzte Ziel im Selbstmarketing zu überwinden.

Über die Autorin:

Dipl. Sozialökonomin Dagmar Rissler                   

Dagmar Rissler (Jg.1969) ist seit über 15 Jahren als Trainerin, Team- und Organisationsentwicklerin, Coach und Supervisorin im wirtschaftlichen und behördlichen Kontext tätig. In ihrem Büro in Hamburg-Ottensen und deutschlandweit arbeitet sie mit Führungskräften und deren Teams aus den Branchen Handel, Technik, Medien, Sport und Kultur. Aufgrund der eigenen Selbständigkeit und langjähriger Expertise in der Beratung von Selbständigen, weiß sie um die hohe Relevanz von Selbstmarketing und Vernetzung. Neben ihren Beratungs-Schwerpunkthemen Führungskräfte- und Teamentwicklung, entwickelt sie mit ihren Kund*innen im Rahmen von Coachings und Seminaren zielgerichtete Selbstmarketing-Pläne, die eine individuelle Positionierung ermöglichen.