Komplexere Anforderungen an Werkstoffe im Zuge der Elektrifizierung des Automobils

Die Elektro-Mobilität etabliert sich neben der klassischen Antriebstechnologie durch Verbrennungsmotoren immer weiter. Der Anteil des elektrifizierten Antriebsstrangs wird in den kommenden Jahren kontinuierlich zunehmen. Damit einher geht eine  Vielzahl an neuen Anwendungen. Diese eröffnen den Kunststoffen zusätzliche Einsatzfelder und somit Chancen, stellen sie aber auch vor technische Herausforderungen, die es in dieser Form bislang nicht gab.

Nicht die einzelne Anforderung ist neu, sondern die Kombination aus bekannten Anforderungen

Im Dialog mit Kunden und Entwicklungspartnern aus verschiedensten Industrien werden stets ähnliche Anforderungen genannt. Flammschutz, günstige elektrische Eigenschaften, Steifigkeit, Zähigkeit, Maßhaltigkeit und Wärmeleitung sind nur einige Beispiele dafür. Jede dieser Anforderungen für sich kann mit dem heutigen Portfolio aus technischen Kunststoffen bedient werden. Interessant und neu ist jedoch, dass diese Eigenschaften miteinander kombiniert werden müssen, um den Anforderungen der „New Mobility“ gerecht zu werden. Oftmals entsteht dadurch ein Spannungsfeld, nämlich insofern, dass die Verbesserung der einen Eigenschaft eine Verschlechterung einer anderen Eigenschaft mit sich bringt. Beispielsweise erfordern wärmeleitfähige Kunststoffe einen hohen Füllstoffgehalt, der die Verarbeitbarkeit erschwert. Hier sind die Produktentwickler gefordert, intelligente Lösungen zu erarbeiten, beispielsweise das Produkt Durethan BTC75H3.0EF. Das Basisharz dieses Compounds ist ein PA6, das mit 75 % Mineralstoffen gefüllt, wärmestabilisiert und leichtfließend ist. Durch die thermische Leitfähigkeit von 1,4 W/mK kann Wärme gezielt aus Bauteilen abgeführt werden, ohne dass man auf die Vorteile der Kunststoffe wie Funktionsintegration verzichten muss.

Standards sind noch in der Diskussion

Ein interessanter Aspekt in der Startphase der New Mobility ist, dass in der üblicherweise stark reglementierten Automobilindustrie gemeinsame Standards häufig noch fehlen. So werden CTI-Werte in der E/E-Industrie bis 600 V Spannung gemessen, wohingegen die Spannungen im Auto bis zu 800 V erreichen können. Zwar sind die Ergebnisse übertragbar, aber dies erfordert eine gewisse Erfahrung mit den Tests, die LANXESS anbieten kann. Ähnlich verhält es sich mit den Flammschutzanforderungen. Welche Anwendung benötigt überhaupt Flammschutz? Darf das Flammschutzmittel halogenhaltig sein oder ist eine halogenfreie Lösung besser geeignet?

Weiterhin wird derzeit diskutiert, ob und welche Additive eine Elektrokorrosion begünstigen. Der zunehmende Einsatz von Elektronik unter sehr unterschiedlichen Umgebungsbedingungen wie z. B. Luftfeuchtigkeit und Temperatur erfordert eine wohlüberlegte Auswahl geeigneter Werkstoffe, um ein vorzeitiges Versagen der Anwendungen zu vermeiden. Hier können wir auf unsere langjährige Erfahrung bei der Entwicklung von Lösungen in der E/E-Industrie zurückgreifen. Durch eine Vielzahl an Kundengesprächen und Diskussionen mit Experten führen wir zu allen diesen Themen einen Erfahrungsaustausch herbei, der beim Setzen der Standards helfen wird.

Leichtbau bleibt wichtig

In den vergangenen Jahren war Leichtbau stets eines der wichtigsten Entwicklungsziele in der Automobilindustrie. Im Zuge der Elektrifizierung des Automobils wird dies jedoch immer öfter in Frage gestellt mit dem Argument, dass durch die Rekuperation die Gesamtmasse des Fahrzeuges scheinbar weniger Einfluss auf die Verbrauchswerte hat. Diese Annahme wäre aber nur dann richtig, wenn die Energierückgewinnung verlustfrei wäre, was technisch prinzipiell nicht umsetzbar ist. Das bedeutet, dass die Masse des Fahrzeugs nach wie vor möglichst klein gehalten werden muss. Darüber hinaus bietet ein leichtes Fahrzeug immer mehr Agilität, insbesondere, wenn man an die erreichbaren Querbeschleunigungen bei Kurvenfahrten denkt. Somit bleibt der Leichtbau auch in Zukunft ein zentrales Entwicklungsthema.
Mit Hochmodul-Typen wie Durethan BKV60H2.0EF, den inzwischen in der Großserie etablierten, endlosfaserverstärkten thermoplastischen Verbundwerkstoffen Tepex, der Kunststoff-Metall-Hybrid-Technologie oder neuen Ansätzen wie der Hohlprofil-Hybrid-Technologie sind bewährte und innovative Lösungen verfügbar. Für einen erfolgreichen Einsatz unterstützt das Team von LANXESS seine Kunden bei der Konzeptfindung und der Umsetzung in die Serie.

Die Transformationsphase vom Verbrenner zum „Stromer“ zwingt die gesamte Automobil-Industrie und auch die Zulieferer, neue Wege zu beschreiten. Die Anforderungen an neue Anwendungen sind teilweise noch unklar oder müssen noch geschärft werden. Es kristallisiert sich in jedem Fall heraus, dass die Kunststoffe immer komplexere Anforderungen erfüllen müssen. Aufgrund mangelnder Erfahrung fehlen noch Standards in einigen Bereichen, die sich im Lauf der nächsten Jahre entwickeln werden. Der Leichtbau wird weiterhin ein zentrales Entwicklungsthema bleiben, um effiziente und wettbewerbsfähige Fahrzeuge anbieten zu können.

Autor

Dr. Axel Tuchlenski
Leiter Produkt- und Anwendungsentwicklung, Lanxess Deutschland GmbH, Dormagen