Rezyklate und nachwachsende Rohstoffe für die Autos der Zukunft

Am 19. und 20. Juni wird sich im Mannheim zwei Tage lang alles um den Einsatz von Kunststoffen im Automobil drehen. Zum internationalen VDI-Kongress PIAE erwarten die Branchenbesucher über 60 Expertenvorträge, ein Branchentreff mit 80 nationalen und internationalen Fachausstellern sowie der Autosalon. Ein besonderer Fokus liegt in diesem Jahr auf der Kreislaufwirtschaft und dem Einsatz von Rezyklaten.

Text: Annedore Bose-Munde

Der internationale Fachkongress PIAE (Plastics in Automotive Engineering), der von der VDI Wissensforum GmbH veranstaltet wird, ist für Kunststoff- und Automobilexperten gleichermaßen eine wichtige Plattform für den Wissensaustausch. „Ohne hochwertige technische Kunststoffe ist ein Automobil nicht mehr vorstellbar. Kunststoff-Eigenschaften, wie die geringe Dichte, die Langlebigkeit, die Oberflächen- und Formgebungsmöglichkeiten, aber auch Isolations- oder Dämmwirkung ermöglichen erst einen wirtschaftlichen Automobilbau“, benennt Kongressleiter Thomas Drescher, Leitung Vorentwicklung und Fahrzeugbeurteilung im Bodensystem bei der Volkswagen AG in Wolfsburg, die Bedeutung des Werkstoffes. Der Nachhaltigkeitsgedanke erfordere jedoch auch das Schaffen von Kreisläufen für hochwertige Kunststoffe. Deshalb seien jetzt Recycler, Verfahrenstechniker, Rohstoff- und Bauteilentwickler aufgerufen, für diese Wertstoffe Kreisläufe zu entwickeln. „Noch stehen wir hier am Anfang und benötigen weitere wirtschaftliche Sortier- und Aufbereitungstechniken, um die erforderliche gleichbleibende Qualität der technischen Kunststoffrezyklate zu gewährleisten. Der Aufbau dieser Kreislaufwirtschaft ist meines Erachtens die größte Herausforderung der Kunststoffindustrie für die nächsten Jahre“, so Drescher. 

 

Praxiseinsatz nachhaltiger Materialien wird präsentiert

Ein ganz praktisches Beispiel für den Einsatz nachhaltiger Materialien und die Verwendung von Rezyklaten wird das Showcar auf Basis des Škoda Enyaq sein, welches in Mannheim zu sehen sein wird.
„Der Klimawandel betrifft uns alle. Wir müssen also etwas tun, um die Auswirkungen des CO2-Fußabdrucks zu verringern, beispielsweise durch die Verwendung nachhaltiger Materialien“, sagt Dalibor Kopáč, Entwicklungsingenieur im Bereich Korrosion, Freibewitterung, Materialentwicklung bei Škoda Auto a.s. in Mladá Boleslav/ Tschechien. In seinem Beitrag auf der PIAE wird er für das Beispiel Showcar den Einsatz recycelter Materialien für Teile beschreiben, für die dies bisher nicht möglich war. „Neu ist die deutlich breitere Verwendung von nachhaltigen Materialien im Fahrzeug. Dies sind vor allem rezyklierte Kunststoffe mit Fokus auf Post-Consumer-Rezyklaten, Monomaterialien und Closed-Loop-Anwendungen. Angewendet wird dieser Nachhaltigkeitsansatz für etwa 20 Teile, zum Beispiel für Stoßfänger, Sitzbezüge, Türverkleidungen, den Dachhimmel oder die Heckklappe“, gibt Kopáč einen Ausblick.
Das Hauptpotenzial des Nachhaltigkeitsansatzes liegt ganz klar in der Reduzierung des Ressourcenverbrauchs für die Herstellung von Kunststoffen und in der Verwendung von Abfällen oder bereits verwendetem Material. „Doch wir bereiten uns damit auch auf künftige gesetzliche Anforderungen der EU-Altautoverordnung vor“, so Kopáč.

 

Herausforderungen und Chancen für die Kreislaufwirtschaft

Die EU-Kommission hat die bestehenden Regeln für die Wiederverwendung, das Recycling und die Verwertung von Fahrzeugen überarbeitet und im Juli 2023 einen Vorschlag dazu vorgelegt. Die neue Fassung der EU-Altautoverordnung, die derzeit geprüft wird und noch final beschlossen werden muss, sieht für alle Neufahrzeuge, die in der EU eine Typgenehmigung erhalten sollen, einen obligatorischen Anteil von 25 Prozent recycelten Kunststoffen an der Gesamtkunststoffmenge im Fahrzeug vor. Die Gesetzgebung legt dabei einen klaren Schwerpunkt auf Post-Consumer-Rezyklate (PCR) die idealerweise aus mechanischen Recyclingverfahren stammen; 25 Prozent des genannten 25 Prozent-PCR-Anteils sollen dabei aus der Verwertung von Kunststoffen aus Altfahrzeugen stammen. Das sind 6,25 Prozent der Gesamtkunststoffmenge.
„Um diese geforderte Rezyklatquote zu erfüllen, müssen im Wesentlichen alle großen Kunststoffteile im und rund um das Fahrzeug mit Rezyklat beziehungsweise Rezyklatanteil realisiert werden, also beispielsweise Stoßfänger, Schweller oder Blenden“, sagt Georg Grestenberger, Application Marketing Manager Interior – Mobility bei der Borealis Polyolefine GmbH in Linz/ Österreich. „Mit etwa einem Drittel entfällt auf Polypropylen der größte Anteil an Kunststoffen im Auto. Polypropylen und insbesondere Polypropylen Compounds werden daher auch einen wesentlichen, überproportionalen Beitrag bei der Erfüllung der Kreislaufziele tragen müssen“, so Grestenberger weiter. Wie dies gelingen kann, wird er in Mannheim am Beispiel von recyceltem Post-Consumer-PP für hochwertige Autoinnenraumanwendungen darstellen. „Mit dem sogenannten „advanced mechanical reycycling“ von Kunststoffen aus Haushaltsabfällen hat Borealis einen großen Schritt in Richtung Kreislaufwirtschaft gesetzt. Wir bieten mittlerweile ein Portfolio an PP Compounds mit mehr als 25 Prozent PCR-Anteil an. Diese Materialien erlauben unseren Kunden die Herstellung von Kunststoffbauteilen, welche die gängigen Automobilanforderungen erfüllen“, benennt er Einsatzbereiche. Erste Projekte sollen noch 2024 in Serie gehen.

 

Fahrzeugunterböden aus Naturfasern und rezykliertem Polypropylen

Für den Einsatz in zukünftigen Elektrofahrzeugplattformen wurde im Rahmen eines Forschungsvorhabens innerhalb eines Entwicklungskonsortiums ein völlig neues, nachhaltiges Gesamtkonzept für Fahrzeugunterböden entwickelt. Den Projektpartnern Audi AG, Röchling Automotive SE, BBP Kunststoffwerk Marbach Baier GmbH, Fraunhofer-Institut für Holzforschung, Wilhelm-Klauditz Institut WKI und dem Thüringischer Institut für Textil- und Kunststoff-Forschung TITK ist es innerhalb dieses Vorhabens gelungen, die aktuell in Fahrzeugen eingesetzten Materialkonzepte durch naturfaserverstärkte Verbundwerkstoffe zu substituieren. „Mit der Entwicklung eines nachhaltigen Fahrzeugunterbodens wurde eine anspruchsvolle Bauteilgruppe mit hohen Kunststoffanteilen für den Einsatz von Naturmaterialien erschlossen. Bisher wurden Naturfaserverbundbauteile in erster Linie als Verkleidungsteile ohne nennenswerte mechanische Aufgaben im Automobil eingesetzt. Bei den im Projekt betrachteten großflächigen Teilen im Fahrzeugunterboden werden jedoch hohe Anforderungen hinsichtlich Biege- und Schlagverhalten gestellt“, beschreibt Fabian Groh, Entwicklung Anbausystem bei der Audi AG in Neckarsulm die Herausforderung. Bei der Entwicklung des Unterbodens wurden Glasfasern als Hochleistungswerkstoff durch Naturwerkstoffe wie Flachs-, Hanf- und Cellulosefaser ersetzt. Hierbei wurden Unterbodenbauteile mit bis zu 45 Prozent Naturfaseranteil realisiert. Zudem wurde vollständig auf Polypropylen-Neuware verzichtet; es wurden ausschließlich Rezyklate eingesetzt.
Die produzierten Bauteile wurden sowohl auf Komponentenebene als auch im Fahrversuch intensiv geprüft. „Das erfreuliche Ergebnis dieser Erprobungen lautet: Die neu entwickelten Materialien erfüllen alle Standardanforderungen an Unterbodenkomponenten und erweisen sich als serientauglich. Weder der Einsatz der Naturfasern noch der der Post-Consumer-Rezyklate führt zu einem signifikanten Abfall der Eigenschaften für den Kunden“, bestätigt der Experte die Praxisrelevanz.
Die neu entwickelten Materialien eignen sich laut Groh für alle im VW-Konzern eingesetzten Bauteilkonzepte im Fahrzeugunterboden. Für die dort vertretenen Werkstoffe wurden nachhaltige Alternativen entwickelt. „Dies betrifft eine Baugruppe von zirka 10 Kilogramm bei jedem Fahrzeug. Es kann also durchaus von einem großen Volumenpotenzial mit hoher industrieller Relevanz gesprochen werden“, benennt er das mögliche Einsatzpozenzial.

 

Umweltverträgliche und individuelle Mobilität für alle

Neben den Nachhaltigkeitsthemen bietet auch das diesjährige Programm der PIAE wieder einen Überblick über anspruchsvolle Bauteilbeispiele, Fertigungsverfahren, Simulationsmethoden und Leichtbauanwendungen.
Und wodurch zeichnen sich die Fahrzeugkonzepte der Zukunft aus? „Damit individuelle Mobilität auch in Zukunft möglich ist, muss das Fahrzeug sozial verträglich und erschwinglich bleiben. Gleichzeitig muss das Fahrzeug der Zukunft energieeffizient, leicht und umweltverträglich sein“, benennt Kongressleiter Thomas Drescher die ganz globalen und wesentlichen Eckpfeiler für die Fahrzeugentwicklung.

Über die Autorin

Annedore Bose-Munde ist Fachjournalistin für Wirtschaft und Technik. Sie schreibt Artikel für verschiedene Fachzeitschriften und Unternehmen, erstellt Podcasts und moderiert Veranstaltungen.

Bild: Škoda

Ein Highlight und ganz praktisches Beispiel für den Einsatz nachhaltiger Materialien und die Verwendung von Rezyklaten wird das Showcar auf Basis des Škoda Enyaq sein, welches auf der PIAE in Mannheim zu sehen sein wird.

Bild: Tomra

Mit dem sogenannten „advanced mechanical reycycling“ von Kunststoffen aus Haushaltsabfällen hat Borealis einen Schritt in Richtung Kreislaufwirtschaft gesetzt und bietet ein Portfolio an PP Compounds mit mehr als 25 Prozent PCR-Anteil an.

Bild: Audi

Im Rahmen des Forschungsvorhabens „ECo2Floor“ wurde neues, nachhaltiges Gesamtkonzept für Fahrzeugunterböden entwickelt. Die aktuell in Fahrzeugen eingesetzten Materialkonzepte wurden durch naturfaserverstärkte Verbundwerkstoffe substituiert.

Bild: Škoda

„Das Hauptpotenzial des Nachhaltigkeitsansatzes von Škoda liegt in der Reduzierung des Ressourcenverbrauchs für die Herstellung von Kunststoffen und in der Verwendung von Abfällen oder bereits verwendetem Material. Doch wir bereiten uns damit auch auf künftige gesetzliche Anforderungen der EU-Altautoverordnung vor“, sagt Dalibor Kopáč, Entwicklungsingenieur bei Škoda.

Bild: VW

PIAE-Kongressleiter Thomas Drescher, Leitung Vorentwicklung und Fahrzeugbeurteilung im Bodensystem bei VW, unterstreicht die Bedeutung des ganzheitlichen Recyclings für Kunststoffe: „Noch stehen wir hier am Anfang und benötigen weitere wirtschaftliche Sortier- und Aufbereitungstechniken, um die erforderliche gleichbleibende Qualität der technischen Kunststoffrezyklate zu gewährleisten. Der Aufbau dieser Kreislaufwirtschaft ist meines Erachtens die größte Herausforderung der Kunststoffindustrie für die nächsten Jahre.“

Bild: Borealis

„Um die in der neuen EU-Altautoverordnung geforderte Rezyklatquote zu erfüllen, müssen im Wesentlichen alle großen Kunststoffteile im und rund um das Fahrzeug mit Rezyklat beziehungsweise Rezyklatanteil realisiert werden, also beispielsweise Stoßfänger, Schweller oder Blenden“, sagt Georg Grestenberger, Application Marketing Manager Interior – Mobility bei Borealis.

Bild: Audi

„Die neu entwickelten Materialien erfüllen alle Standardanforderungen an Unterbodenkomponenten und erweisen sich als serientauglich. Weder der Einsatz der Naturfasern noch der der Post-Consumer-Rezyklate führt zu einem signifikanten Abfall der Eigenschaften für den Kunden“, sagt Fabian Groh, Entwicklung Anbausystem bei Audi.