Der Digitale Zwilling – Weg zu einer höheren industriellen Wertschöpfung 

Produktbezogene Daten und Modelle sind essenzielle Bestandteile und bieten enorme Potenziale im Wertschöpfungsprozess. Insbesondere im Engineering braucht es passgenaue CAx-Modelle, Leistungsdaten, Kennlinien und Modelle, um beispielsweise eine virtuelle Inbetriebnahme oder eine Simulation des thermischen Verhaltens durchzuführen. Auch in der darauffolgenden Produktion und Nutzung eines Produkts entsteht eine einzigartige digitale Spur, die sich über Unternehmensgrenzen hinwegzieht. In diesem fragmentierten Umfeld aus Geschäfts- und Produktionsprozessen helfen Digitale Zwillinge, effizient und qualitativ Informationen und nutzungsorientierte Services bereitzustellen. 

Eine höhere Wertschöpfung ist ohne Standards nicht realisierbar 

Die Bandbreite für Digitale Zwillinge ist groß: Sie reicht von Maschinen und ihren Komponenten, über Software bis hin zu Prozessen. Für den hersteller- und produktlebenszyklusübergreifenden Austausch von Informationen sind daher Standards für die Kommunikation, Dienste und Datensemantik notwendig. Ein produkt- und herstellerübergreifendes Konzept forciert die Industrial Digital Twin Association (IDTA) mit der Asset Administration Shell (AAS). Die AAS ist als Open Source verfügbar. Neben der Erarbeitung von Entwicklerspezifikationen, standardisiert die IDTA auch funktionale Aspekte und bietet die Möglichkeit zum Austausch innerhalb konkreter Anwendungsfälle. Ein weiterer Vorteil der AAS besteht darin, dass neben standardisierten Inhalten auch herstellerspezifische Inhalte integriert werden können, um Innovation und eine Differenzierung zwischen Herstellern zu fördern.  

Good Practices aus der Anwendung bei WITTENSTEIN 

Bei der fortlaufenden Erweiterung eines Digitalen Zwillings müssen eine Vielzahl von individuellen Anforderungen erfasst und in eine Gesamtarchitektur integriert werden.  

Im Folgenden sind vier bewährte Praktiken aus der Anwendung bei WITTENSTEIN aufgeführt:  

  • Die grundlegendste Form eines Digitalen Zwillings zu einem physischen Produkt ist der Identification Link nach IEC 61406 und das Digitale Typenschild. Der Identification Link ist auf dem Typenschild oder elektronisch am Produkt ablesbar und ermöglicht die weltweit eineindeutige Zuordnung des Produkts zu seiner virtuellen Repräsentation. Das über den Link abrufbare Digitale Typenschild bietet Zugriff auf eine kompakte, aber ausreichende Darstellung von Produktinformationen. Dies bildet die Basis für die Entwicklung komplexerer Digitaler Zwillinge bei der WITTENSTEIN SE.  
  • Die Weiterentwicklung des Digitalen Zwillings erfolgt mit individuellen Geschwindigkeiten und unterschiedlichen Umfängen. Je nach Kunde, Produktgruppe oder Fertigungsstandort müssen (Daten-) Modelle geschaffen, integriert und im Anwendungsfall wirksam werden. Pilot für die fertigungsbegleitende Datenerfassung im Digital Twin bei der WITTENSTEIN SE war beispielsweise das Galaxie-Antriebssystem. Durch die individuell gemessenen Leistungsdaten ist eine passgenaue Parametrierung des Antriebs möglich, was sich bei Kunden in einer höheren Leistung und Qualität bemerkbar macht. Die WITTENSTEIN Alpha erweitert ihren Digitalen Zwilling beispielsweise auch im Hinblick auf die thermischen Getriebemodelle, um die thermischen Grenzkurven einer Vielzahl unterschiedlicher Motor-Getriebe-Kombinationen zu bestimmen und die geeigneten Komponenten für eine Anwendung auswählen zu können.  
  • Die Art und Weise, wie Daten im Digitalen Zwilling innerhalb der bestehenden Wertschöpfungskette behandelt werden, wird unter Umständen auch Bedenken und Vorbehalte hervorrufen. Es ist notwendig, sich auf die steigende Transparenz vorzubereiten. Sowohl das digitale Typenschild als auch zukünftig der Digitale Produktpass werden Auswirkungen auf die Prozesse im After-Sales-Service haben. Dies zeigt sich schon bei der Herstelleridentifikation sowie den Reparaturanweisungen, die jedem Endanwender mit nur einem Scan zu Verfügung stehen. Die Daten des Maschinenbauers oder Integrators können problemlos in das Digitale Typenschild der einzelnen Komponente integriert werden, damit der Endanwender die Freiheit hat, zu entscheiden, bei wem eine Servicemeldung eröffnet werden soll. Vom Endanwender gedacht, bietet dies den Vorteil, lokale Partner oder anhand der Liefersituation zu priorisieren und die Reparatur schnellstmöglich und ressourcenschonend durchzuführen.
  • Eine angemessene IT-Sicherheit des Digitalen Zwillings sollte im Anwendungsfall eine Balance finden, indem sie weder übermäßig komplex noch unzureichend ist. Zum gegenwärtigen Zweitpunkt sind unternehmensübergreifende Identitätsprüfungen und Autorisierungen fragmentiert. Die Komplexität wird insofern gesteigert, da Zugriffe auch ad-hoc erforderlich sind, ohne dass notwendigerweise bereits eine Geschäftsbeziehung besteht. WITTENSTEIN verwendet im Identification Link des Produkts nicht die leicht hochzählbare Seriennummer, sondern eine PIN mit Hashwert, um ein Auslesen in Masse zu verhindern und dennoch die Benutzerfreundlichkeit ohne Login zu gewährleisten. Entwicklern stehen für den Zugriff auf Informationen API Keys zur Verfügung. Anwender können darüber hinaus Einmalkennwörter nutzen, um selektiv Daten wie Messprotokolle abzurufen.


Zum Autor


Bernd Vojanec, Experte Kooperierende Industrie-4.0-Systeme, Digitalization Center, Wittenstein SE, Igersheim

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