Einsatz von generativer Künstlicher Intelligenz (KI) in der Industrie

Ein Interview mit Dr. Theo Steininger

Dr. Theo Steininger ist Gründer und Geschäftsführer von Erium, einem Unternehmen, das sich auf die praktische Anwendung von Künstlicher Intelligenz in der Industrie spezialisiert hat. Mit der Kombination aus akademischer Bildung in Physik und seiner Erfahrung als Data Science Consultant bringt er ein breites Verständnis in der Anwendung von KI mit. Dies ermöglicht es ihm, hocheffektive Lösungen für komplexe Herausforderungen zu entwickeln. Er ist einer der Erfinder der ‚Cognitive Process Modeling‘ Methode, die eine Schlüsselrolle in Industrie-Projekten spielt. Neben seiner Arbeit bei Erium teilt Theo Steininger sein Wissen und seine Expertise regelmäßig in Seminaren und Vorträgen. Im Interview sprechen wir mit ihm über die Bedeutung generativer KI, insbesondere ChatGPT, sowie über die Inhalte seiner Weiterbildung, die er als Referentbeim VDI Wissensforum leitet.
 

Herr Dr. Steininger, könnten Sie uns einen Überblick über die Bedeutung generativer KI, insbesondere ChatGPT, in den verschiedenen Industrien und Anwendungen geben?

Dr. Theo Steininger: Generative KI und insbesondere Technologien wie ChatGPT, sind in der Tat zu einem Eckpfeiler moderner Industrieprozesse avanciert. Sie eröffnen uns die Möglichkeit, nicht nur mechanische, sondern auch kognitive Prozesse zu automatisieren und zu optimieren. Dieser Fortschritt ist vergleichbar mit der industriellen Revolution, allerdings mit dem entscheidenden Unterschied, dass generative KI als reine Softwarelösung wesentlich schneller skaliert werden kann und die Anfangsinvestitionen oft marginal sind.

Die Bedeutung dieser Technologien erstreckt sich über verschiedene Dimensionen. Zum einen können wir durch den Einsatz generativer KI-Prozesse schlanker gestalten, die Produktivität steigern und eine hohe Qualität und Reproduzierbarkeit sicherstellen. Dies ist nicht nur aus wirtschaftlicher Sicht erstrebenswert, sondern auch im Hinblick auf die Ressourcensparsamkeit, die angesichts der Klimakrise von entscheidender Bedeutung ist. Generative KI könnte somit zu einer Schlüsseltechnologie für das Erreichen der Nachhaltigkeitsziele in Industrienationen werden.

Auf der individuellen Ebene hat generative KI das Potenzial, die Last von den Schultern der Mitarbeitenden zu nehmen, indem mühsame und monotone repetitive Aufgaben automatisiert werden. Dies ermöglicht es dem Team, sich auf komplexere und kreativere Aufgaben zu konzentrieren. Darüber hinaus kann generative KI die Zugänglichkeit von Fähigkeiten verbessern, indem sie als Assistent fungiert, der Anleitungen und Unterstützung in Echtzeit bietet, selbst in verschiedenen Sprachen, was bisherige Sprachbarrieren effektiv eliminiert.

Allerdings müssen wir auch die Schattenseiten dieser Technologie im Auge behalten. Eine davon ist das Potenzial, das Stressniveau zu erhöhen, da die Arbeitsintensität und Geschwindigkeit bei der Kollaboration mit generativer KI zunehmen kann. Zudem wird es einen signifikanten Unterschied zwischen denjenigen geben, die den professionellen Einsatz generativer KI beherrschen, und denjenigen, die dies nicht tun. Dies könnte zu einer neuen Form der digitalen Kluft führen. Schließlich ist es für Unternehmen nahezu unerlässlich, generative KI zur Prozessoptimierung einzusetzen, da sie sonst Gefahr laufen, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu verlieren. Die Anwendungsfälle sind vielfältig und reichen von Hilfeassistenten, die Zugriff auf umfangreiche Unternehmensdokumentationen haben, bis hin zur Verarbeitung von Informationen, die von unstrukturiert zu strukturiert transformiert werden müssen.
 

Inwieweit hat sich der Einsatz Künstlicher Intelligenz in der Industrie in den letzten Jahren weiterentwickelt?

Dr. Theo Steininger: Die Entwicklung der Künstlichen Intelligenz in der Industrie hat sich in den letzten Jahren signifikant weiterentwickelt und durchlief dabei mehrere prägende Phasen. In der Anfangszeit konzentrierte sich der Einsatz von KI auf das Erstellen von Expertensystemen. Diese regelbasierten Systeme versuchten, menschliche Expertise zu emulieren, um Mitarbeitende in ihren Tätigkeiten zu unterstützen. Allerdings stießen diese Systeme schnell an ihre Grenzen, da der Aufwand, sie aktuell zu halten und die Komplexität realer Zusammenhänge in Regeln zu fassen, zu hoch war.

Mit dem Aufkommen der Industrie 4.0 Bewegung erlebte die KI eine Renaissance. Zwei Hauptfaktoren trieben diese Entwicklung voran: Zum einen die Digitalisierungstechnologien, die Zugang zu einer Fülle von Datenquellen wie Sensordaten, Zustandsdaten und globalen Informationen ermöglichten. Zum anderen die Verfügbarkeit von leistungsfähigen Rechenressourcen, die es gestatteten, bereits bekannte maschinelle Lernverfahren im großen Stil praktisch anzuwenden. Dies führte zur Möglichkeit, neuronale Netze zu trainieren und Muster aus großen Datenmengen zu extrahieren. Allerdings blieb der Erfolg vieler Industrie 4.0 Projekte aufgrund der hohen Unsicherheit und der Schwierigkeit, eine solide Datengrundlage zu schaffen, hinter den Erwartungen zurück.

Die jüngste und dritte Phase ist durch den Aufstieg der generativen KI gekennzeichnet. Diese ermöglicht es uns, nicht nur numerische Sensordaten zu verarbeiten, sondern auch semantische Informationen, die in Dokumenten, Protokollen und E-Mails verborgen liegen. Generative KI kann die Lücke zwischen Prozessexpert*innen und Data Scientists schließen oder diese sogar obsolet machen. Im Gegensatz zu einem menschlichen Analysten, der nicht in der Lage ist, hunderte Seiten von Dokumentationen effizient zu verarbeiten, kann ein Sprachmodell diese Informationen schnell in die Beantwortung spezifischer Fragen einbeziehen. Dies hat die Kosten für viele Industrie 4.0 Projekte, die zuvor an der Schwelle der Wirtschaftlichkeit gescheitert waren, drastisch gesenkt und neue Klassen von Use Cases eröffnet, wie zum Beispiel Support-Bots, die Mitarbeitenden in der Fertigung assistieren.


Welche Grundkonzepte oder Prinzipien gibt es in Bezug auf generative KI?

Dr. Theo Steininger: Generative KI, insbesondere in Form von Sprachmodellen wie ChatGPT, basiert auf einer Reihe von Grundkonzepten und Prinzipien, die ihre Funktionsweise und Anwendungsmöglichkeiten definieren. Ein zentrales Element dieser Technologie sind die sogenannten Transformer-Architekturen, die eine Weiterentwicklung früherer Ansätze im Bereich des Natural Language Processing (NLP) darstellen. Diese Architekturen ermöglichen es der KI, große Mengen an Text zu verarbeiten und zu verstehen, indem sie auf das Prinzip der Vervollständigung setzen.

Das Prinzip der Vervollständigung ist ein fundamentales Konzept, bei dem die KI lernt, gegebene Textfragmente sinnvoll zu ergänzen und fortzuführen. Hierbei handelt es sich um ein Modell, das zu bestimmten Zeitpunkten mit einer großen Menge an Textdaten trainiert wurde, um Muster und Zusammenhänge zu erkennen. Dieses Training ermöglicht es der KI, auf Basis der gelernten Informationen neue, kohärente Texte zu generieren oder Fragen zu beantworten. Ein weit verbreitetes Missverständnis ist jedoch, dass solche Modelle ein übergeordnetes, globales Bewusstsein besitzen oder kontinuierlich dazulernen. Tatsächlich sind die einzelnen Vervollständigungsaufgaben voneinander unabhängig und das Modell lernt nicht kontinuierlich aus den Interaktionen mit den Nutzer*innen.

Ein weiteres wichtiges Prinzip ist die Fähigkeit der KI, semantische Informationen zu verarbeiten. Dies bedeutet, dass die KI nicht nur auf numerische Daten beschränkt ist, sondern auch Texte, die in Handbüchern, Dokumentationen oder Protokollen versteckt sind, effizient nutzen kann. Durch die Einbeziehung von firmenspezifischem Wissen, beispielsweise aus internen Wikis oder Knowledge Bases, kann die KI maßgeschneiderte und relevante Informationen in ihren Antworten berücksichtigen.


Welche Herausforderungen und Probleme greifen Sie im Inhalt des Seminars auf? Welche Hauptthemen und Schwerpunkte werden behandelt?

Dr. Theo Steininger: In unserem Seminar setzen wir uns intensiv mit den Herausforderungen und Problemen auseinander, die beim Einsatz generativer KI in Unternehmen auftreten. Ein zentrales Thema ist die Implementierung von KI-Lösungen, bei der wir die Teilnehmende befähigen, die Potenziale generativer KI zu erkennen und diese gezielt für ihre Unternehmensprozesse zu nutzen. Wir legen dabei besonderen Wert darauf, die Teilnehmenden mit den notwendigen Werkzeugen und Methoden auszustatten, um KI-Anwendungen nicht nur zu entwickeln, sondern auch sicher und effizient in ihre bestehenden Systeme zu integrieren.

Ein weiterer Schwerpunkt des Seminars ist die Sicherheit im Umgang mit generativer KI. Hierbei behandeln wir sowohl die Zuverlässigkeit der KI-Ergebnisse als auch die Sicherheitsaspekte im Sinne von IT-Security. Wir möchten sicherstellen, dass die entwickelten Lösungen vertrauenswürdige Ergebnisse liefern und gleichzeitig vor unbefugtem Zugriff geschützt sind. Es ist uns wichtig, dass die Teilnehmenden lernen, wie sie KI-Systeme aufbauen, die robust gegenüber Fehlinformationen sind und die Integrität der Unternehmensdaten gewährleisten.

Nicht zuletzt widmen wir uns dem Projektmanagement von KI-Projekten. Aufgrund der hohen Dynamik und der spezifischen Anforderungen, die KI-Projekte mit sich bringen, ist ein angepasstes Management erforderlich. Wir vermitteln den Teilnehmenden, wie sie KI-Projekte effektiv planen, steuern und zum Erfolg führen können. Dabei gehen wir über traditionelle agile Methoden hinaus und stellen spezifische Ansätze vor, die den Besonderheiten von KI-Projekten gerecht werden.


Gibt es praktische Übungen oder Demonstrationen im Seminar, die den Einsatz von generativer KI im Unternehmen veranschaulichen?

Dr. Theo Steininger: Im Rahmen unseres Seminars “Einsatz von ChatGPT in der Industrie” legen wir großen Wert darauf, dass die Teilnehmenden nicht nur theoretisches Wissen erlangen, sondern dieses auch praktisch anwenden können. Daher haben wir eine Reihe von praktischen Übungen und Demonstrationen integriert, die den Einsatz von generativer KI im Unternehmenskontext veranschaulichen.

Zunächst führen wir die Teilnehmenden in die Welt der Datenanalyse ein, indem wir sie mit realen Datensätzen arbeiten lassen. Hierbei nutzen sie generative KI, um relevante Fragestellungen zu formulieren. Die Besonderheit dabei ist, dass die Teilnehmenden sich auf die inhaltliche Ausarbeitung der Fragen konzentrieren können, während die Ausformulierung des entsprechenden Codes – sei es in Python oder als Excel Makro – von ChatGPT übernommen wird. Dieser Ansatz ermöglicht es, die Leistungsfähigkeit von KI unmittelbar zu erleben und zu verstehen, wie man in der Lage sind, komplexe Datenanalysen mit Unterstützung von KI effizienter zu gestalten.

Darüber hinaus widmen wir uns der kognitiven Prozessmodellierung, einem Kernstück des Seminars. Die Teilnehmenden lernen, wie sie kognitive Prozesse, die bisher implizit und ohne bewusste Strukturierung abgelaufen sind, modellieren und schrittweise für eine Automatisierung aufbereiten können. Durch diese Übungen erhalten sie Einblick in die Fähigkeit, generative KI einzusetzen, um Prozesse nicht nur zu unterstützen, sondern auch zu optimieren und zu automatisieren.

Die praktischen Demonstrationen im Seminar zielen darauf ab, den Teilnehmenden zu zeigen, wie generative KI-Lösungen konkret im Unternehmensalltag eingesetzt werden können. Sie erleben, wie sie durch die Anwendung von KI Zeit sparen, Ressourcen effizienter nutzen und sich auf ihre Kernaufgaben konzentrieren können. Unser Ziel ist es, dass jede/r das Seminar mit dem Wissen und den Fähigkeiten verlässt, um generative KI-Lösungen in ihrem eigenen Arbeitsumfeld erfolgreich zu implementieren und zu nutzen.
 

Was macht Ihnen persönlich immer Spaß beim Thema KI oder auch bei den Seminaren?

Dr. Theo Steininger: Was mir persönlich bei der Arbeit mit KI und in den Seminaren immer wieder Freude bereitet, ist der Austausch mit den Teilnehmenden. Es ist interessant zu sehen, welche unterschiedlichen Ansätze und Methoden sie in ihrem beruflichen Alltag anwenden, um Probleme zu lösen und ihre Unternehmen erfolgreich zu machen. Besonders spannend finde ich die Momente, in denen die Teilnehmenden sogenannte “Aha-Momente” erleben. Das sind die Augenblicke, in denen sie das Potenzial von KI wirklich begreifen und verstehen, wie sie diese Technologie nutzen können, um ihre Arbeit zu erleichtern und effizienter zu gestalten.

Diese Momente sind für mich ein klares Zeichen dafür, dass das Wissen, das wir vermitteln, ankommt und praktische Anwendung findet. Es zeigt, dass die Teilnehmenden beginnen, die Möglichkeiten der KI für ihre eigenen Prozesse zu erkennen und zu nutzen. Diese Erkenntnisse können dazu beitragen, dass sie sich auf die wichtigeren und strategischeren Aspekte ihrer Arbeit konzentrieren können, während die KI sich um die repetitiven und zeitaufwendigen Aufgaben kümmert.

Insgesamt ist es die Kombination aus Wissensaustausch, praktischer Anwendung und dem Erleben dieser “Aha-Momente”, die mir immer wieder bestätigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind und dass die KI einen echten Mehrwert für die Arbeitswelt bietet.

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