Bild zur Modalanalyse

Siemens PLM Software

24.08.2017

Experimentelle Modalanalyse – „Schnee von gestern“?

In Zeiten immer schnellerer Rechner, leistungsfähiger Berechnungssoftware und hochaufgelöster Animation der Rechenergebnisse erscheint diese Frage durchaus berechtigt. Um diese aber beantworten zu können, ist zu klären, ob es nicht vielleicht einen Zusammenhang zwischen der experimentellen Modalanalyse und Finiten Elementen, Mehrköperdynamik und Co. gibt.

Mit hoher Wahrscheinlichkeit lesen Sie diesen Artikel, weil Sie im Rahmen Ihrer Berufspraxis mit Schwingungsproblemen konfrontiert werden – möglicherweise mit Schwingungen im Antriebsstrang. Wie gehen Sie an die Lösung dieser Probleme heran?

Mit dem Versuch & Fehler-Ansatz können Sie Glück haben und im ersten Versuch eine funktionierende Lösung finden. Oder aber Sie haben Pech und verzweifeln an den vielen Stellschrauben der Schwingungsbeeinflussung. Um die Möglichkeiten der Schwingungsbeeinflussung einzugrenzen und eine sehr gute Lösung zu entwickeln, ist in jedem Fall eine Analyse des Schwingungsproblems ratsam. Starten Sie nun eine Berechnung z.B. mit der Finiten Elemente Methode? Oder führen Sie Schwingungsmessungen durch? Auch dies scheint in der Praxis eine Mentalitätsfrage zu sein.

Die Vorteile in der Nutzung von Berechnungsprogrammen liegen auf der Hand. Mit einem funktionierenden Finite Elemente oder Mehrkörpermodell können die Antworten des Systems auf sehr viele verschiedene Lastfälle berechnet werden. Die animierten Ergebnisse geben schnell einen Eindruck von Verformungen, kritischen Lasten und kritischen Frequenzen. Ebenso ist es möglich die Auswirkungen von Strukturänderungen zu bestimmen ohne ein physisches Modell gefertigt zu haben. Modellbasierte Ergebnisse sind aber stets nur im Rahmen der gemachten Annahmen und Voraussetzungen gültig.

Ist also ein Prototyp vorhanden oder treten die Schwingungsprobleme an einem physisch vorhandenen System auf, dann sind Schwingungsmessungen ratsam, um zumindest eine erste genauere Charakterisierung des realen Problems zu erreichen. 24-bit-Messsysteme und Abtastraten im 100 kHz-Bereich, zahlreiche Filterfunktionen und komfortable Software lassen Schwingungsmessungen scheinbar zu einem Kinderspiel werden. Jede Welt für sich scheint in Ordnung, wenn die Ergebnisse erst einmal da und für sich plausibel sind.

Interessant wird die Angelegenheit, wenn die „Funktionstüchtigkeit“ des Berechnungsmodells überprüft oder die Ergebnisse aus den Schwingungsmessungen für Strukturmodifikationen bzw. allgemein schwingungsreduzierende Maßnahmen verwendet werden sollen. Spätestens an dieser Stelle werden die Ergebnisse des Berechnungsmodells mit Ergebnissen aus Schwingungsmessungen miteinander verglichen. Dieser Vergleich ist meistens sehr ernüchternd. Ziel kann es an dieser Stelle nur sein eine beschreibbare Realität modelltheoretisch abzubilden. Es lohnt sich also ein Blick hinter die Programmoberfläche.

Das Model-Updating umfasst eine Vielzahl an Methoden, um Modelle zu verbessern. Die Einflussnahme auf die Qualität der späteren Ergebnisse fängt bereits bei der Wahl des Modells bzw. der Berechnungsmethode an – z.B. mit der oft gestellten Kardinalfrage „FEM oder MKS?“. Nun kann ein Model-Updating derart ablaufen, dass die physikalischen Parameter im Modell, wie Elastizitätsmodul oder Dichte, angepasst werden oder direkt die Steifigkeitsmatrix, um z.B. eine optimale Orthogonalisierung der Modalmatrix per Versuch und Fehler zu bewirken. Eine andere Herangehensweise ist, Messdaten nicht als „Konkurrent“ oder „Unglücksbringer“ zu betrachten, sondern diese für ein Model-Updating zu nutzen.

Können die Eigenschaften des schwingungsfähigen Systems als linear angenommen werden, so kann die Schwingungsantwort des Systems direkt aus der Anregung und der Übertragungsfunktion berechnet werden. In den Übertragungsfunktionen stecken die die Dynamik des Systems beschreibenden Informationen: Masse, Steifigkeit und Dämpfung bzw. Eigenfrequenzen, Eigenformen und modale Dämpfung.

Die experimentelle Modalanalyse ist also ein sehr aktuelles Thema, denn mit dieser Methode können Sie die drei modalen Größen (Eigenfrequenzen, Eigenformen und modalen Dämpfung) des physisch vorhandenen Systems ermitteln und Ihr Modell verbessern.

Allerdings ist auch in der experimentellen Modalanalyse die Modellfrage zu klären. Zum einen was das physische Modell anbelangt, wie z.B. die Festlegung der Randbedingungen (Lagerung), unter denen die Messungen durchgeführt werden. Zum anderen steckt hinter der Bestimmung der modalen Größen ein theoretisches Modell. Hier könnte die Kardinalfrage „SDOF-Amplitude Picking oder MDOF-Complex Exponential Fit?“ lauten.

Das Model-Updating auf der Basis gemessener Modaldaten ist in einschlägiger Literatur auch unter dem Titel „Modellbasierte Parameteridentifikation“ zu finden. Dieser iterative Prozess ist nicht mit der Fehlersuche auf FEM-/MKS- oder Messtechnik-Seite zu verwechseln. Es ist vielmehr ein Prozess der beidseitigen Annäherung, bei dem Nichtlinearitäten eine große Rolle spielen. Während in der Modaltheorie lineare Zusammenhänge genutzt werden, sind die Eigenschaften schwingungsfähiger Systeme in der Praxis nichtlinear. Der Einsatz der experimentellen Modalanalyse ist demnach limitiert.