26.06.2019

Getriebe smarter auslegen –  Vom 99%- zum 90%-Fahrerprofil

Mit virtuellen Sensoren und Software lassen sich Fahrzeugkomponenten leichter und effizienter auslegen

Fahrzeugkomponenten werden nach dem heutigen Stand der Technik auf der Grundlage standardisierter Prüfverfahren auf spezifische Anforderungen an ihre Lebensdauer ausgelegt. Diese Verfahren werden von einer sehr kleinen Gruppe von Fahrern definiert, die den durchschnittlichen Belastungszustand der Komponenten bei weitem überschreiten. Mit dem sogenannten 99%-Fahrerprofil rüsten sich Hersteller für alle erdenklichen Nutzungsverhalten. Das bedeutet jedoch, dass Fahrzeugbauteile wie etwa Getriebe für die allermeisten Fahrerprofile viel zu schwer, zu groß und zu teuer ausgelegt sind. Hier sind enorme Einsparpotentiale gegeben, so ist das junge Unternehmen aus Darmstadt überzeugt.

Komponenten an die Mehrheit der Fahrerprofile anpassen

„Die heutige Dimensionierung von Getrieben und anderen Fahrzeugkomponenten reduziert die Gesamtressourceneffizienz des Fahrzeugs drastisch. Mit virtuellen Sensoren und Embedded Software sind wir heute in der Lage, Nutzungs- und Lastprofile hochgenau zu ermitteln – und somit die Komponenten wesentlich besser an der Mehrheit der realistischen Fahrerprofile auszurichten“, erläutert Stéphane Foulard, Mitgründer und Executive Director der COMPREDICT GmbH. Er wird einen neuen, softwarebasierten Ansatz auf dem Internationalen VDI-Kongress „Dritev – Getriebe in Fahrzeugen“ am 10.-11.07. in Bonn vorstellen.

Das Institut für Mechatronische Systeme im Maschinenbau der TU Darmstadt und die Ausgründung COMPREDICT GmbH haben den innovativen Ansatz für einen effizienteren Leichtbau-Prozess im Automobilbau entwickelt, den sogenannten ecoLIFE3, der rein softwarebasiert ist. Die Grundidee: Der globale Fuhrpark wird Teil eines kontinuierlich überwachten Optimierungspotentials, um die Komponentenentwicklung viel besser an der überwältigenden Mehrheit der Fahrerprofile auszurichten. Unter Berücksichtigung von Kosten, CO2-Fußabdruck und anderen Faktoren wird somit ein Paradigmenwechsel bei der Dimensionierung von Fahrzeugkomponenten möglich, erläutert Foulard weiter: „Unser Verfahren sorgt dafür, dass eine gleichbleibende oder sogar noch höhere Zuverlässigkeit bei gleichzeitigem Leichtbau gewährleistet ist. Dies geschieht durch Zustandsüberwachung und schließlich den Austausch von Komponenten für die extremsten Nutzer und den Ausgleich mit dem monetären Vorteil eines Leichtbaus“. Dabei betrachtet die softwarebasierte Lösung nicht nur die Getriebe, sondern alle möglichen mechanischen, elektronischen und elektrischen Fahrzeugkomponenten (Lenksysteme, Steuergerät usw.).

Virtuelle Sensoren als Basis für zielführenden Leichtbau

Die Grundidee lautet dabei, Bauteile nicht mehr für das sogenannte „99%-Fahrer-Profil“ zu entwickeln. „Unter Umständen ist es viel effizienter, ein Bauteil auf 90 Prozent der Fahrerprofile auszulegen, und für die restlichen zehn Prozent mit unseren Methoden einzelne Fahrzeuge dauerhaft zu verfolgen, um rechtzeitig einen möglichen Wartungsaufwand zu erkennen“. So kann es zu keiner erhöhten Ausfallrate kommen, und gleichzeitig profitieren alle von geringeren Kosten und einem zielführenden, softwarebasierten Leichtbau. „Für diejenigen, die an die Auslegungsgrenze kommen, kann möglicherweise auf Kosten der OEMs das Getriebe ausgetauscht werden. Die dadurch entstehenden Mehrkosten können kompensiert bzw. überkompensiert werden; je nachdem wie das neue Referenzprofil ausgewählt wird. In allen Fällen profitieren alle Endnutzer vom Leichtbau und Ressourcenersparnis“, fasst Stéphane Foulard sein Vortragsthema zusammen.

Gewichtseinsparungen von 10 bis 15 Prozent bei durchschnittlichen Fahrzeugkomponenten seien auf diese Weise nach bisherigen Erfahrungswerten durchaus realisierbar – von der damit verbundenen Kraftstoffersparnis noch gar nicht zu sprechen. Bereits im vergangenen Jahr hat COMPREDICT nach dieser Methode knapp 20 Projekte mit Fahrzeug-OEMs realisiert – sowohl in Deutschland und Europa als auch in Asien. Eine Expansion in die USA ist ebenfalls bereits im Gange. „Wir bereiten den Serieneinsatz der Embedded Software und des virtuellen Sensors gerade vor“, so der Unternehmensgründer weiter. Die neue Auslegungsphilosophie sowie konkrete Anwendungsfälle und Vorteile wird er auf dem Internationalen VDI-Kongress „Dritev – Getriebe in Fahrzeugen“  vorstellen.