Mit Quantum Sensing in die Zukunft

Quantum 2.0: Hochpräzise Messverfahren eröffnen neue Möglichkeiten in der Prozessautomation

Die Zukunft der Messtechnik in der Prozessautomation hat genau genommen schon 1914 begonnen: So weit reichen erste bahnbrechende Experimente zur Quantenphysik zurück. In Zukunft könnten Quantum-Technologien das Tor zu vollkommen neuen Messverfahren aufstoßen – mit mehr Datentiefe, mehr Präzision und mehr Tempo. Einblicke in den jetzigen Stand der Technik und die weiteren Perspektiven gibt Dr. rer. nat. Mohammad Sadegh Ebrahimi, Advanced Sensor Engineer, Endress+Hauser SE+Co. KG (Maulburg), im Rahmen des 23. VDI-Kongresses AUTOMATION am 28. und 29. Juni in Baden-Baden 2022.

Der Werkzeugkasten wächst rasant

Quantum-Technologien machen es bereits heute und zukünftig in nochmals stark wachsendem Maße möglich, hochempfindliche und gleichzeitig widerstandsfähige Sensoren in fordernden Industrieumgebungen einzusetzen. Damit verfügen Sensordesigner und Ingenieure über neue Möglichkeiten. „Man könnte es so vergleichen: Früher stand uns ein Malkasten mit zwölf Farben zur Verfügung, in Zukunft sind es zwölf mal zwölf Farben. Umso präziser können wir in der Sensorik arbeiten“, beschreibt Dr. Ebrahimi die Vorteile mit einem anschaulichen Beispiel. „Quantum 2.0“ nennt er diesen Evolutionssprung im Design und der Anwendung von Prozesssensoren, der fast einer Revolution gleichkomme.

So wie Quantencomputer Daten ganz anders interpretieren und verarbeiten als herkömmliche Computer – nämlich nicht nur binär, sondern mit Quantenbits – so kann auch Quantum Sensing mit neuen Verfahren in einem Bruchteil der Zeit wesentliche präzisere Messungen bereitstellen. „Quantensensoren bieten bei räumlicher Auflösung und Empfindlichkeit herausragende Eigenschaften, die über alles, was wir bis heute kennen, deutlich hinausgehen“, erklärt Ebrahimi weiter.

Diamonds – Sensor Designer’s Best Friend

Besonders im Fokus steht dabei das Material Diamant, das magnetische und elektrische Felder mit einer räumlichen Auflösung von wenigen Nanometern bis hin zu einzelnen Elektronen und Kernspins nachweisen kann. Die hohe mechanische Stabilität bei gleichzeitiger Temperaturbeständigkeit spricht insbesondere für das wertvolle Material. „Man könnte auch sagen: Diamonds are a Sensor Designer‘s Best Friend“, bringt es Dr. Ebrahimi plakativ auf den Punkt. Aufgrund der herausragenden physikalischen Eigenschaften weisen Diamant-Quantensensoren entscheidende Vorteile für industrielle Anwendungen auf. NV-Zentren in Diamanten stellen erste Anwendungen der Technologie dar – sind aber nur ein Beispiel für weitere zukünftige Quantensensorsysteme.

Aus der Nische zum „Massen“-Produkt

Ultra-sensitive Messungen erlauben in Zukunft ein bislang nicht erreichtes Kontrollniveau in industriellen Prozessen. Die Anwendungsbereiche, für die Quantum Sensing prädestiniert ist, sind nach Auskunft des Experten dabei weit gesteckt – ob für Magnetfeldmessungen, Temperatur- und Druckmessungen, pH-Werte und noch mehr. Auch Quantum Atomic Clocks sind heute bereits gang und gäbe. „Entscheidend wird es für Unternehmen nun sein, den Hype von der Realität zu trennen und sich auf die sinnvollsten und zielführenden Anwendungen von Quantum Sensing zu konzentrieren“, unterstreicht Dr. Ebrahimi. In jedem Fall, da zeigt er sich überzeugt, werde sich die Technologie aus der derzeitigen Nische schnell zu einem prägenden Thema in der Industrie- und Prozessautomation wandeln. Im Zuge dessen dürften sich auch die Preise noch regulieren.

„Neben aller Faszination an der Technologie kommt es in jeder Anwendungssituation selbstverständlich auf die konkreten Benefits an – Topics wie bessere Empfindlichkeit, höhere Selektivität und Robustheit sprechen in diesem Zusammenhang für sich“, erklärt Dr. Ebrahimi. Er ist überzeugt: In Verbindung mit geschlossenen Eco-Systemen werde an Quantum-Technologien in der Prozesstechnik kein Weg mehr vorbeiführen, wenn es um Systeme für das Advanced Sensing geht. Diese Systeme umfassen Quantencomputer und Quanten-Cybersecurity, die in der Zukunft eine wichtige Rolle in der industriellen Prozessautomation spielen werden. Für spannende technologische Einblicke und viel Diskussionsstoff im Zuge des VDI-Kongresses AUTOMATION 2022 dürfte also gesorgt sein.