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Markus Spiske/Unsplash

Software wird zum Gamechanger: Entwicklungsprozesse und Markendifferenzierung neu denken

13.08.2021

Die weiterwachsenden Softwareumfänge im Fahrzeug und die damit verbundene Komplexität stellt Automobilhersteller vor neue Herausforderungen. Eine hohe Robustheit und Interoperabilität der Softwaresysteme ist ebenso gefragt wie deren permanente Pflege – von der zuverlässigen Qualität beim Serienanlauf bis zu laufenden Updates over the air. Für Dr. Rolf Zöller, Director E/E Smart Connected Vehicle bei der Dr. Ing. h.c. F. Porsche AG, ist klar: „Software ist ein Gamechanger für die gesamte Branche. Automobilhersteller und Zulieferer benötigen neue dezentrale Entwicklungsprozesse und ein Umdenken, als diese Herausforderungen gemeinsam meistern zu können.“

Über zielführende Strategien, aktuelle Trendthemen und Zukunftstechnologien diskutiert die Branche im Zuge der Internationalen VDI-Tagung ELIV (Electronics In Vehicles). Dr. Zöller ist Leiter der Veranstaltung, die am 20. und 21. Oktober 2021 in Bonn stattfindet. Der langjährige Branchenkenner erwartet neue Einblicke und facettenreiche Diskussionen insbesondere rund um die Softwareentwicklung für Fahrzeuge und das Connected Car von morgen: „Niemand verfügt allein über die Kompetenz und vor allem die Kapazitäten, um die hohen Anforderungen in der Softwareentwicklung im Alleingang erfüllen zu können.“ Nicht zuletzt personelle Ressourcen stellen dabei ein Hindernis dar. Für eine bahnbrechende Technologieentwicklung wie das Autonome Fahren benötigt man seriösen Einschätzungen zufolge mehrere Tausend Entwickler – tatsächlich sind es eher wenige Hundert Ingenieure, die bei Automobilherstellern und Zuliefern das Thema voranbringen.

Podium der ELIV

Neue Schnittstellen-Anforderungen

Ein Ausweg könnte eine dezentralere Entwicklung sein. Im Idealfall soll sie früher und effektiver zu Resultaten führen. „Entwicklungsprozesse in der Automotive-Welt werden sich grundlegend ändern. Und dies ist bereits in vollem Gange“, so Dr. Zöller weiter. Ein prägendes Stichwort dabei lautet Schnittstellen: So sei es zielführend, neue Softwareprogramme laufend gegen konstante bleibende Schnittstellen zu testen. Dies stellt eine effiziente Prüfung der funktionalen und nicht funktionalen Anforderungen sicher. Darüber hinaus ist in der Fahrzeugentwicklung zukünftig noch viel stärker zu antizipieren, welche Funktionen zu einem späteren Zeitpunkt auf den Schnittstellen relevant werden können. „Darauf muss im Idealfall die Software schon heute ausgelegt und geprüft werden, auch wenn dies aktuell noch keinen funktionalen Nutzen bringt“, erklärt Dr. Zöller weiter.

Softwareentwicklung als Community-Aufgabe

Ein weiterer Paradigmenwechsel in der Fahrzeugentwicklung: Statt für jeden OEM jeweils zu eigenen Softwareentwicklungen zu erarbeiten, werde es in Zukunft viel sinnvoller, Ressourcen zu bündeln. „Es gibt zahlreiche Softwareumfänge, die nicht zu einer Differenzierung der Produkte beitragen, Betriebssoftware und Treiber zum Beispiel. Diese könnte man unter Beachtung von kartellrechtlichen Anforderungen im Sinne eines konsortialen Vorgehens gemeinsam entwickeln“, schildert Dr. Zöller weiter: „In der IT sind solche Communityansätze ohnehin gang und gäbe. Auch in der Automobilentwicklung müssen wir stärker zu solchen intelligenten und ressourcenschonenden Lösungen finden.“

Human Machine Interface

Wie agieren Mensch und Maschine miteinander?

Mit dem weiteren Megatrend Connected Car verändert sich desgleichen die Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine. Auch dabei lautet die Frage: Wie viel Software müssen Automobilhersteller dazu selbst beisteuern oder wo sind vorhandene Lösungen der Techgiganten der effektivere Weg? Und wie kann ein Connected Car-Ecosystem der Zukunft aussehen, das Eigenständigkeit und Mehrwerte gegenüber kostenfrei verfügbaren Diensten bietet? „Entscheidende Aufgabe der Autobauer lautet dabei, das Premiumerlebnis im Auto hinsichtlich Funktionalität, einfacher Bedienung und visuellem Erlebnis zu schaffen, auch verbunden mit einem gewissen Coolness-Faktor“, betont Dr. Zöller. Gleichzeitig könne man sich den Plattformen der Techgiganten wie Google oder Apple nicht völlig verschließen. „Die Aufgabe der Zukunft ist es, Blended-Systeme mit hohem Nutzwert für den Anwender und mit hohem Wiedererkennungseffekt aus Sicht der OEMs zu schaffen.“ In jedem Fall, so Dr. Zöller weiter, dürfe die Branche die Digitalisierung des Fahrzeuginnenraums nicht verschlafen. Hersteller aus China würden hier neue Wege der Digitalisierung gehen, beispielsweise mit Avataren, Konzepten der Gamification, umfassenden digitalen Assistenten und einer fast perfekten Spracherkennung. „Derart brillante digitale Landschaften im Innenraum können und müssen auch die europäischen Automobilhersteller in ihre Fahrzeuge bringen, um den Zug nicht zu verpassen.“

Varianz definiert sich über die Software

Hinzu kommt als weiterer Aspekt die weiterwachsende Komplexität der Software- und Entwicklungsprozesse aufgrund von Over-the-air-Updates. „Das bringt eine grundlegende Veränderung mit sich, bei der im Unternehmen kaum ein Stein auf dem anderen bleibt. Nahezu alle Bereiche sind betroffen, ob Rechtswesen, Datenschutz, Beschaffung oder Vertrieb“, ist Dr. Zöller überzeugt. Die Varianz der Produkte werde sich nach seinen Worten in Zukunft viel stärker durch Software als allein durch die Hardware definieren, auch die Modellpflege dürfte sich damit grundlegend wandeln – bis hin zu den damit verbundenen Wertschöpfungsstrukturen. Der ELIV-Tagungsleiter dazu: „Techgiganten wie Microsoft können es sich leisten, während einer grundlegenden Transformation des Unternehmens über anderthalb Jahre so gut wie kein neues Produkt auf den Markt zu bringen – das ist in der Automotive-Welt so nicht vorstellbar.“ Gleichwohl sei die Branche gefordert, den Wandel zu meistern und neue Antworten zu finden.

Ralf Zöller

Porsche AG

Interview mit:

Dr. Rolf Zöller ist Director E/E Smart Connected Vehicle bei der Dr. Ing. h.c. F. Porsche AG und Tagungs-leiter der ELIV 2021. Diese findet am 20. und 21. Oktober 2021 in Bonn statt.