Starkregen und urbane Sturzfluten wirksam vorbeugen

Starkregen: dynamische Veränderungen

Bild: Zusammenhang Niederschlag – Oberflächenabfluss. (Quelle BDB e.V.)

Veränderungen im globalen Klimasystem haben seit 1950 rapide zugenommen. Kein Zweifel besteht mehr daran, dass der menschliche Einfluss zur Erderwärmung geführt hat. Eine Zunahme der mittleren Jahrestemperaturen bringt neue Dynamik in die klimatischen Rahmenbedingungen. So nehmen Regenereignisse in Intensität und Häufigkeit stark zu. Regional und zeitlich unvorhersehbar erleben wir immer öfter Überflutungen und Überschwemmungen vor allem im urbanen Bereich. Auch bisher sicher gemeinte Regionen werden davon berührt. Dies erfordert ein Umdenken und neue Konzepte im globalen Niederschlagswassermanagement.

Bild: Bemessungsregenspenden. (Quelle: itwh GmbH)

Regen-Quantität: Veränderung der Bemessungsgrundlagen

Planung von Entwässerungsanlagen im öffentlichen und privaten Bereich basiert auf statistischen Werten aus der Vergangenheit. So werden langjährige Auszeichnungen von Wetterdaten des Deutschen Wetterdienstes DWD regelmäßig ausgewertet und als KOSTRA-DWD veröffentlicht. KOSTRA-DWD steht für „Koordinierte Starkniederschlagsregionalisierung und -auswertung des DWD“. Etabliert hat sich hierbei die Verwendung von sogenannten Bemessungsregenspenden, welche für jedes Planquadrat abhängig von Dauer und Jährlichkeit ermittelt werden. Dargestellt wird dies mit der Bezeichnung r(D;T) in der Einheit l/sxha. Ein Regenereignis mit einer Dauer D von 5 Minuten und einer Häufigkeit von 100 Jahren T bezeichnet man als Jahrhundertregen, dargestellt als r(5;100). Die letzte KOSTRA-DWD-Aktualisierung umfasst Messungen aus dem Zeitraum 1951-2000, welche erst Ende 2022 veröffentlicht wurden. Aufgrund der Brisanz der Lage gelten diese Regenspenden seit dem 1. Januar 2023 als verbindlich.

Was bedeutet dies:

  • Die bisherigen KOSTRA-Daten sind nicht mehr relevant, insbesondere sind die Angaben aus der DIN 1986-100: Ausgabe 2016 nicht mehr verwendbar, da hierbei die KOSTRA-DWD-2010 zugrunde gelegt sind.
  • Für alle Planungen gelten ab dem 1. Januar 2023 auch rückwirkend die neuen KOSTRA-DWD-2020 Daten verbindlich.
  • Bestandsschutz gilt nur dann, wenn keine kritische Gebäudesubstanz betroffen ist oder aufgrund anderer Rahmenbedingungen beispielsweise Schneelast eine ausreichende Statik vorgesehen wurde.

Gegenüber der Ausgabe 2010 haben sich die einzelnen Regenspenden teilwiese erheblich verändert. So hat sich der Jahrhundertregen r(5;100) für Ingolstadt von 527 l/sxha auf 706,5 l/sxha erhöht, also um über 34 Prozent. Wer also die alten KOSTRA-DWD-Daten verwendet, läuft große Gefahr, Entwässerungsanlagen zu klein zu dimensionieren.

Regen-Qualität: Verschiebung in neue Dimensionen

Bisher galt der Jahrhundertregen schon als sportliche Herausforderung, welche eben nur alle 100 Jahre statistisch zu erwarten ist. Doch aufgrund der dramatischen Klimaveränderung reicht diese Bewertung nicht mehr aus.

So hat Schmitt et al.* eine ortsbezogene Kategorisierung von Starkregenhöhen mittels Starkregenindex SRI im Wertebereich zwischen 1 und 12 empfohlen. Demnach wäre der Jahrhundertregen dem SRI-Wert 7 zuzuordnen. Die Kategorien 8 bis 12 beschreiben somit einen Zustand von extremen Starkregen, der weit darüber hinaus geht und die neue Qualität der Niederschläge widerspiegelt.

Bewertungskategorien des ortsbezogenen Starkregenindex. (Quelle: Schmitt et al. 2018)

Demnach wird nach 4 Starkregen-Bereichen unterschieden:

  • „Normaler“ Starkregen: Wir bewegen uns im Bereich der klassischen Dimensionierung des Entwässerungsnetzes. Ausreichendem Schutz gegen Rückstau kommt hierbei eine wesentliche Bedeutung zu. Dabei geht es um die Entkopplung des Grundstücks von der Überlastung im öffentlichen Kanalnetz. Diese Anforderungen gelten als Grundlage der Vorsorge und müssen immer beachtet werden.
  • „Intensiver“ Starkregen: Zusätzlich ist nun auch mit temporärem Einstau auf Verkehrs- und Freiflächen zu rechnen. Die Schadlosigkeit solcher Ereignisse ist planerisch darzustellen.
  • „Außergewöhnlicher“ Starkregen: Zusätzlich greift hier noch der technisch-konstruktive Objektschutz. Vor allem Hochwasserschutzmaßnahmen sollen empfindliche Gebäudestruktur schützen.
  • „Extremer“ Starkregen: Zusätzlich ist hierbei von ausgedehnten Überflutungen auszugehen. Maßnahmen zur Vermeidung sind wirtschaftlich kaum mehr darstellbar. Daher konzentriert sich die Planung nun auf Schadensbegrenzung.

Reaktionsbedarf im öffentlichen und vor allem urbanen Bereich – das Schwammstadt- Konzept

Im urbanen Bereich wird heute gerne von der Schwammstadt gesprochen. Gemeint ist ein Konzept der Stadtplanung, möglichst viel anfallendes Regen- bzw. Oberflächenwasser vor Ort aufzunehmen und zu speichern, anstatt es lediglich zu kanalisieren und abzuleiten. Dabei müssen die Maßnahmen eine Kombination aus Rückhalt, Entsiegelung, Abkopplung, Versickerung und Verdunstung sein.

Übergreifend müssen alle betroffenen Behörden und Institutionen über alle Grenzen der Verantwortlichkeit hinaus zusammenwirken und gemeinsam Maßnahmen planen und umsetzen. Diese lassen sich in 6 Lösungskategorien einstufen:

  • Kanalnetz: Im Vordergrund stehen hier die Optimierung und der Ausbau des Kanalnetzes, aber auch deren optimale Bewirtschaftung, inklusive Wartung.
  • Infrastruktur: Dies betrifft beispielhaft die Gestaltung der Straßenentwässerung, multifunktonale Nutzung von Freiflächen oder die Schaffung von Notwasserwegen.
  • Gewässer: Dies umfasst beispielsweise die Entschärfung von Abflusshindernissen oder die Schaffung von großflächigen Retentionsräumen.
  • Flächennutzung: Dies betrifft die Freihaltung von Gefährdungsbereichen, dezentrale Regenwasserbewirtschaftung und wassersensitive Stadtplanung.
  • Gebäude: Dies betrifft den technisch-konstruktiven Objektschutz oder die Anpassung der Gebäude zur Risikominimierung.
  • Verhalten: Hierzu zählt vor allem intensive Aufklärungsarbeit, Einrichtung von Frühwarnsystemen und wirksamen Einsatz- und Alarmplänen.

Nur die geschickte Kombination dieser Maßnahmen wird dazu führen, das Risiko von Überflutung und resultierenden Schäden auf ein Minimum zu senken. Das erfordert das Zusammenwirken über Grenzen von Zuständigkeiten und Behörden hinaus.

Reaktionsbedarf auf dem privaten Grundstück

Zunehmende Regenereignisse haben auch Auswirkung auf die Planung und Betrieb von Grundstücksentwässerungsanlagen. Architekt*innen, Fach-Planer*innen und Betreiber*innen müssen sich auf veränderte Rahmenbedingungen einstellen. Dies bedeutet in der Regel größere Anlagen und auch geändertes Regenwassermanagement auf dem Grundstück. Beispielhaft haben geänderte Regenspenden direkten Einfluss auf folgende Bemessungen.

Tabelle: Auswirkung von geänderten Regenspenden auf die Grundstücksentwässerung

  • NutzungAuswirkung auf die Bemessung
    DachflächenDach- und Notabläufe
    Befestigte FlächenHofabläufe und Rinnen
    RückstausicherungHebeanlagen
    RegenwassernutzungRegenspeicher
    RetentionRetentionsvolumen
    Auffangflächen mineralischer LeichtflüssigkeitenLeichtflüssigkeitsabscheider
    ÜberflutungsprüfungVersickerungsanlagen

Prinzipdarstellung Regenwassermanagement auf dem Grundstück (nach LFU 2013)

Gleichzeitig wird die Aufnahme in den öffentlichen Kanal in der Regel auf Einleitgrenzwerte beschränkt. Dies erfordert ein Umdenken bezüglich Regenwassermanagement. Zur Abflussreduzierung sollen alle Möglichkeiten herangezogen werden, beginnend mit Nutzung, Versickerung, Verdunstung und Retention.

 

Fazit

Aufgrund des Klimawandels ist eine Zunahme der Intensität und Qualität der Starkregenereignisse zu beobachten. Zur Vermeidung von Schäden und Minimierung der Risiken ist eine Kombination von Maßnahmen im privaten und öffentlichen Bereich erforderlich.

Zur Person

Dipl.-Ing. Roland Priller hat an der TU Erlangen Verfahrenstechnik studiert. Seit über 20 Jahren ist er bei der KESSEL AG tätig und verantwortet den Bereich Normung, Zulassung und Innovationsmanagement. Er ist langjähriger Mitarbeiter in nationalen und europäischen Gremien, wie u. a. Mitglied im Ausschuss für DIN 1986-100, DIN EN 12056 und in den Ausschüssen für die Normung von Entwässerungsprodukten. Außerdem ist er Mitglied der Ausschüsse vom VDI und der DWA im Bereich Abwasser und arbeitet im DIBt-Sachverständigenausschuss für Abscheideranlagen.