Veränderungen in der Antriebstechnik und dem Maschinenbau durch die Wasserstoff- und Brennstoffzellen-Technologie

Die Bundesregierung hat im Juni 2020 die Wasserstoffstrategie beschlossen, um einen wichtigen Schritt zur Dekarbonisierung zu machen. Ziel ist es, in Bereichen, in denen es sinnvoll erscheint, fossile Brennstoffe durch Wasserstoff zu ersetzen. Jetzt sind drei Jahre vergangen, nachdem der Beschluss gefasst wurde. Zeit, ein Resümee zu ziehen, wo wir jetzt stehen und was wir noch von dieser Technologie erwarten können.

Schon heute steht es fest, die Stahlindustrie fokussiert sich auf den Wasserstoff und investiert Milliarden für den Umbau der Anlagen*.

Um herauszufinden, wo wir in der Antriebstechnik und dem Maschinenbau heute stehen und wo sich die Entwicklung hinbewegt, haben wir mit Prof. Dr. Eberhard Schlücker, Lehrstuhlinhaber „Prozessmaschinen und Anlagentechnik“ an der Universität Erlangen-Nürnberg sowie mit Dr. Ulrich Misz, Leiter der Abteilung Brennstoffzellensysteme am anwendungsorientierten Forschungszentrum Zentrum für BrennstoffzellenTechnik GmbH (ZBT), gesprochen.

Der Wirkungsgrad bei der Erzeugung von grünem Wasserstoff liegt derzeit bei nur 70 Prozent. Wird der Wasserstoff dann in den verschiedensten Anwendungen weiter genutzt oder der Wirkungsgrad zusätzlich reduziert. Warum haben Wasserstoffanwendungen dennoch große Vorteile?
 

Prof. Dr. Eberhard Schlücker: Der große Vorteil liegt in der Möglichkeit, den Wasserstoff in den verschiedensten Anwendungsbereichen dezentral zu erzeugen und zu speichern, bei Bedarf zu verstromen oder für die Stoffwandlung zu nutzen. Die dabei entstehende Wärme erlaubt synergetische Effekte. Da Strom die einzige Primärenergie der Zukunft ist, lassen sich Anwendungsfälle auch mit einer Batterie realisieren, allerdings ist der Preis je nach Anwendungsfall wesentlich höher als Speichermöglichkeiten für Wasserstoff. Für eine Kurzzeitspeicherung von einem Tag bis zu einer Woche, kann eine Lösung mit Batterie sinnvoll sein. Alles, was diese Dauer überschreitet, können Batteriesysteme derzeit nicht mehr wirtschaftlich abbilden. Hier spielen wasserstoffbasierte Systeme und Speichermöglichkeiten ihre Stärke aus. Jede dieser Technologien hat ihre von Synergie geprägten Anwendungsfälle, wo entweder die eine oder die andere Technologie die bessere Lösung ist.

Idealerweise kombiniert man Stromspeichersysteme mit Wasserstoff mit einer Batterie für die kurzfristige Pufferspeicherung und erreicht damit bereits heute eine sehr gute Wirtschaftlichkeit. In solchen hybriden Systemen kann jede Technologie ihre Stärke ausspielen. Daher benötigen wir dringend eine technologische Offenheit, die die beziehbare Wasserstoffstruktur, die Speichermöglichkeiten, die räumliche Struktur, die Individualität jeder einzelnen Anwendung und die Wärme mit einbezieht. Diese Offenheit gibt den Ingenieur*innen die Flexibilität, verschiedene Technologien zu kombinieren und so wesentlich bessere Ergebnisse zu erzielen, als es mit ausschließlich einer Technologie möglich gewesen wäre.

Mit der Wasserstofftechnologie haben wir eine enorme Erweiterung unserer technologischen Möglichkeiten erhalten. Bei der Entwicklung von neuen Lösungen, die diese Technologien berücksichtigen, stehen wir aktuell noch ganz am Anfang. Ich bin überzeugt, dass wir in den nächsten Jahren Wasserstofflösungen und Wasserstofftechnologien sehen werden, bei denen wir uns heute nicht vorstellen können, dass diese wirtschaftlich funktionieren könnten.
 

Welche Chancen und Möglichkeiten erschließt aus Ihrer Sicht die Wasserstofftechnologie für den deutschen Maschinenbau?
 

Prof. Dr. Eberhard Schlücker: In der gesamtem Prozesskette – von der Erzeugung bis zur Anwendung – und durchaus auch mit einer dezentralen Komponente sehe ich den Maschinenbau als großen Profiteur der Wasserstofftechnologie.

Die Herstellung von Elektrolyseuren und deren Skalierung ist ein riesiger Markt und der Umbau von vorhandenen Systemen auf Wasserstofftechnologie ist ebenfalls ein großer Anwendungsfall für den Maschinenbau. Bei der Nutzung muss vieles umgebaut und neu konstruiert werden, auch hier ist der Maschinenbau gefragt.

Wahrscheinlich wird der Flugverkehr mittelfristig auf Wasserstoff oder Power-2-x Produkte zurückgreifen, um die Schadstoff-Emissionen des Flugverkehrs zu senken. Bei der Umsetzung dieser Umgestaltung nimmt der Maschinenbau eine zentrale Rolle ein. Meiner Meinung nach bietet darüber hinaus die Verbrennung von Wasserstoff aus heutiger Sicht die wenigsten Potenziale. Bei der Verbrennung von Wasserstoff ist der Wirkungsgrad so gering, dass wir aus meiner Sicht bessere Ideen für die Nutzung dieses kostbaren Gutes Wasserstoff haben sollten. Das ist mein Stand heute, ich bin allerdings Ingenieur und lasse mich gerne von neuen Technologien und Anwendungsfällen, an die wir heute noch nicht denken, eines Besseren belehren.

Die stoffliche Nutzung von Wasserstoff in beispielsweise der Stahlindustrie oder auch im Bergbau ist ein weiterer Anwendungsfall, bei dem es zur Wasserstofftechnologie mittelfristig wenig Alternativen gibt, wenn man diesen Industriebereich dekarbonisieren möchte. Bei der Stahlerzeugung wird traditionell Kohlenstoff als Transmitter eingesetzt, um aus dem Eisenoxid Eisen zu gewinnen. Bei diesem Prozess entstehen große Mengen an CO2. Man kann als Transmitter statt Kohlenstoff auch Wasserstoff einsetzen. Bei diesem Prozess entsteht dann Wasser. Dieser Umbau der Stahlindustrie auf die Wasserstoffindustrie kostet Milliarden, die im Markt Maschinenbau investiert werden. Ähnliches gilt, z.B., für den Kalk, der als Kalziumcarbonat im Berg lagert. Wasserstoff kann sowohl den Sauerstoff als auch den Kohlenstoff binden.

Ich würde es zusammenfassend so beschreiben, dass der Maschinenbau bei allen bereits eingeführten Entwicklungen und Neuerungen eine Schlüsselrolle einnimmt und dies wird auch bei zukünftigen Entwicklungen der Wasserstofftechnologie der Fall sein.
 

Welche Entwicklungen gibt es derzeit im internationalen Umfeld zum Thema Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie?
 

Prof. Dr. Eberhard Schlücker: Für den Anlieferungszustand des Wasserstoffs, gebunden an Ammoniak, ist mittlerweile die gesamte Route von und zum Wasserstoff entwickelt worden. In Frankreich wurde eine effizientere Ammoniaksynthese entwickelt. Schweden, USA und auch Deutschland haben für die Rückgewinnung des Wasserstoffs aus Ammoniak effiziente Lösungen erarbeitet und mit semipermeablen Membranen kann der Wasserstoff aus Gasmischungen rein herausgefiltert werden.  Australien hat ein neues Elektrolysekonzept auf der Basis von Kapillaren als Elektrolyt publiziert, das 98 Prozent Wirkungsgrad haben soll. Zugleich hat das Wuppertal-Institut festgestellt, dass die Wirkungsgradbilanz des in Deutschland erzeugten Wasserstoffs im Mittel günstiger ist als die des importierten Ammoniaks.
 

Welche Rolle spielt Ihrer Einschätzung nach die Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie in der Antriebstechnik heute und welche Rolle wird sie in zehn Jahren einnehmen?
 

Dr. Ulrich Misz: Auch wenn derzeit erst rund 60.000 Wasserstoff-PKWs auf den Straßen zu finden sind, so zeigt sich dennoch bereits die Technologiereife des doch relativ komplexen Antriebs. Die Vorteile der Wasserstoffanwendungen liegen in der schnellen Betankungszeit und im Vergleich zum rein batteriebetriebenen Antrieb im geringeren Gewicht und Volumen. Dieser Vorteil nimmt vor allem bei Schwerlastanwendungen deutlich zu, sodass wie erwartet zunächst diese Anwendungen vom Langstrecken LKW bis hin zu Zügen und Schiffsantrieben im Fokus stehen werden. Derzeit befinden sich viele dieser Anwendungen bereits in Testfahrten, um wichtige Erkenntnisse und Daten sammeln zu können. In zehn Jahren wird der Anblick von Schwerlastanwendungen mit Wasserstoffantrieb kein Einzelfall mehr sein, sondern bereits einen relevanten Marktanteil haben. Immer unter der Voraussetzung, dass die Infrastruktur und die Verfügbarkeit von grünem Wasserstoff kontinuierlich global steigen. Ob und in welcher Zahl auch PKWs in Europa, Asien oder Nordamerika auf den Straßen unterwegs sein werden, ist nach jetzigem Stand noch sehr schwer abschätzbar.
 

Die Brennstoffzellen müssen in eine Systemumgebung integriert werden, die mit Verdichtern und Abgassystem, ähnliche Komponenten wie ein Motor hat. Nachgelagert ist dann ein elektrisches Antriebssystem. Wo sehen Sie die Vorteile dieser Technologie gegenüber batteriebetriebenen Systemen?
 

Dr. Ulrich Misz: Auch wenn die Gesamtsystemumgebung von Wasserstofffahrzeugen komplexer ist als ein rein batteriebetriebenes Fahrzeug, so bietet gerade dies der klassischen Automobilzulieferindustrie große Möglichkeiten. Die Erfahrungen im Bereich des Maschinenbaus sind nach wie vor in Deutschland sehr ausgeprägt und helfen bei der Entwicklung der Systeme. Viele Fertigungstechnologien können angewendet und neue innovative Entwicklungen integriert werden. Gerade die derzeitige Herausforderung, den Schritt in Richtung Serienfertigung zu machen, bietet eine große Chance, viele Arbeitsplätze zu erhalten und eine Technologiewende ohne völlig neue Ausrichtung und dementsprechend ohne große Reibungsverluste stemmen zu können. Neben den etablierten Unternehmen bietet der Einstieg in die Wasserstofftechnik auch innovativen Start-Ups vielfältige Einstiegsmöglichkeiten.
 

In welchen Bereichen und Branchen bemerken Sie aktuell ein besonders hohes Interesse und aus welchem Bereich hat Sie das Interesse am meisten überrascht?
 

Dr. Ulrich Misz: Aufgrund der Tatsache, dass die Zuliefererindustrie bei der Transformation die Auswirkungen als erstes spürt, merken wir hier ein verstärktes Interesse voranzugehen und in neue Themen und Bereiche einzusteigen. Positiv bei notwendigen Investitionen würde sich eine klare Ausrichtung der Politik bemerkbar machen, die gerade im Mobilitätssektor noch auf sich warten lässt. Unter der Voraussetzung einer globalen Wasserstoffwirtschaft bieten sich vielfältige Beschäftigungsfelder für die deutsche Industrie an, hier wird auch der Wasserstoffantrieb eine durchaus bedeutende Rolle spielen. Innovative Start-Ups steigen zudem verstärkt in die Wasserstoffthematik ein. Das Thema Materialauswahl und Qualifizierung für Brennstoffzellenanwendungen ist derzeit viel diskutiert, mit dem dringenden Wunsch hier verstärkt Entwicklungen im Bereich von zertifizierten Prüfverfahren vorzunehmen. Insbesondere die Kunststoffbranche als Quereinsteiger drängt hier in die neuen Märkte.
 

Wo stehen wir Ihrer Einschätzung nach in zehn Jahren mit der Wasser- und Brennstoffzellentechnologie und Nutzung?
 

Dr. Ulrich Misz: Die globale Wasserstoffwirtschaft wird sich in den nächsten zehn Jahren rasant entwickeln. Es wird vermehrt grüner Wasserstoff zur Verfügung stehen, der zunächst von der Industrie, hier sei insbesondere die Transformation hin zum grünen Stahl genannt, benötigt und abgenommen wird. Aber auch die Mobilität, insbesondere im Schwerlastbereich, wird schon relevante Mengen an Wasserstoff brauchen. Die Geschwindigkeit der Brennstoffzellentechnik in vorhandenen Märkten konkurrenzfähig zu sein, hängt aber wie so oft auch von der Kostenentwicklung ab. Mit steigendem CO2-Preis und einer Verschärfung der Gesetzgebung der europäischen Union gegenüber fossilen Brennstoffen sinkt nach und nach auch die Hürde für den Markteintritt innovativer Brennstoffzellentechnologien. 

Über die Autoren

Prof. Dr. Eberhard Schlücker begann seine Industriekarriere als Entwicklungsingenieur. Zuletzt war er Prokurist und Leiter des Engineerings bei einem großen Mittelständigen Betrieb. Seit 2000 ist Eberhard Schlücker Professor und Lehrstuhlinhaber „Prozessmaschinen und Anlagentechnik“ an der Universität Erlangen-Nürnberg. Neben zahlreichen Forschungsarbeiten hat er große Forschungsprojekte zum Thema Wasserstoffwirtschaft mit initiiert. Außerdem ist er Mitgründer eines erfolgreichen Wasserstoff-Unternehmens, der Hydrogenious GmbH, und hält seit 2,5 Jahren Wasserstoffkurse für den VDI.

Dr. Ulrich Misz forscht und entwickelt seit 2007 intensiv an Technologien für den Bereich Brennstoffzelle und Systemumgebung. Heute ist er Leiter der Abteilung Brennstoffzellensysteme am anwendungsorientierten Forschungszentrum Zentrum für BrennstoffzellenTechnik GmbH (ZBT). In seiner Abteilung werden im Rahmen von Industriekooperationen u.a. simulationsgestützte Brennstoffzellensysteme entwickelt und Themen rund um die Materialqualifizierung für Brennstoffzellenanwendungen vorangetrieben. Seit 2,5 Jahren hält er zudem Brennstoffzellensystemkurse für den VDI.