Werte verstehen – Werte schaffen

Wertanalyse: Bewährte Methode ist angesichts von Beschaffungsengpässen und Rohstoffmangel aktueller denn je

Wie lässt sich der Wert eines Produktes oder einer Dienstleistung steigern? Welchen Nutzen hat es für den Kunden – welchen Ertrag bringt es dem Unternehmen? Eine reine Kostenbetrachtung greift hier zu kurz. Für einen tieferen und gleichzeitig umfassenderen Blick sorgt die Methodik

Wertanalyse. Dabei handelt es sich um eine Methodik, die viel älter ist, als manche vermuten.

Not macht erfinderisch. So lautet eines der Sprichwörter, die sich in der Realität als zutreffend erweisen. Aus der Not in Form von Beschaffungsengpässen ist vor rund 70 Jahren in den USA die Methodik der Wertanalyse entstanden. Als im Zweiten Weltkrieg bei General Electric Komponenten für die Flugzeugproduktion knapp wurden, ging Lawrence D. Miles, seinerzeit Vice President für Beschaffung bei GE, systematisch vor. Welche Designänderungen sind möglich, ohne die Funktionalität des Produktes zu verringern? Wie und womit lassen sich Materialien ersetzen? Kurzum: Wie kann sich idealerweise ein noch besseres Produkt zu geringeren Kosten fertigen oder beschaffen?

Materialengpässe meistern

Diese Grundfragen der Wertanalyse haben bis heute nichts an Relevanz verloren – ganz im Gegenteil, wie Dipl.-Ing. Sebastian Meindl (Krehl & Partner GmbH & Co. KG, Karlsruhe), Leiter der VDI-Tagung Wertanalyse, erläutert: „Gerade in der heutigen Zeit der Beschaffungsengpässe und Ressourcenknappheit in vielen Branchen kann die Methodik der Wertanalyse dazu beitragen, die aktuellen Herausforderungen zu meistern und ihre Auswirkungen abzumildern oder gar zu eliminieren. Damit ist diese bewährte Methodik in Zeiten des Materialnotstands aktueller denn je.“ So könnten etwa Produkte dahingehend optimiert werden, dass für ihre Fertigung insgesamt weniger Rohstoffe notwendig sind oder andere Werkstoffe knappe Materialien substituieren können.

Viel mehr als Kosten senken

Value Management bedeutet nach Meindls Worten, ein Unternehmen, seine Strukturen und Prozesse als Ganzes zu betrachten – stets verbunden mit einer konsequenten Ausrichtung auf Märkte, Kunden und Erträge. „Es geht nicht allein um Kostenoptimierung. Wertanalyse umfasst viele Dimensionen, die eine offene, interdisziplinäre Zusammenarbeit erfordern.“ Schließlich habe ein Entwicklungsingenieur einen gänzlich anderen Blick auf ein Produkt als ein Fertigungsexperte oder ein Vertriebsmitarbeiter. Die Methodik erlaubt es, eine Anforderung vollkommen neu zu betrachten, beispielsweise indem man andere Designlösungen oder Materialalternativen prüft. Die Kunst liegt darin, die Interessen der verschiedenen Stakeholder, sowohl intern als auch extern, auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. „Im Kern geht es darum, die Anforderungen des Kunden zu begreifen und sie bestmöglich umzusetzen – mit hoher Effizienz, optimiertem Materialeinsatz und zu möglichst geringen Kosten“, erklärt Sebastian Meindl weiter.

Abb.1: Wertanalyse beschreibt ein methodisches Vorgehen, um Produkte, Prozesse, Projekte, Services und Dienstleistungen zu optimieren. Grafik: Krehl & Partner

Viele ungenutzte Potenziale

Die Methodik ist keineswegs nur für fertigende Unternehmen relevant. Meindl dazu: „Nach den Definitionen des US-Value-Management-Guides sowie der VDI 2800 und der DIN EN 12973 ist die Methodik anwendbar für Produkte, Prozesse, Projekte, beispielsweise im Baubereich, sowie für Services und Dienstleistungen.“ Die Realität sieht aktuell noch anders aus: Nach Einschätzung des Experten konzentrieren sich hierzulande 90 Prozent der durchgeführten Wertanalyse-Projekte auf Produkte und deren Fertigung – die weiteren Bereiche liegen eher brach und bergen somit noch erhebliche Potenziale. „Oft können dazu klare Weichenstellungen oder Regularien beitragen. In den USA beispielsweise ist es vorgegeben, dass bei öffentlichen Projekten ab einem Investitionsvolumen von einer Million US-Dollar eine Value Study erfolgen muss.“

Erfolg von Wertanalysen hat verschiedene Facetten

Wie bemisst sich der Erfolg eines Wertanalyse-Projektes? Auch dies kann sich, in Abhängigkeit von der Aufgabenstellung, in unterschiedlichsten Resultaten widerspiegeln. Beispielsweise im Erreichen eines Kostenziels, in einer Verbesserung des Produktes, dem Überwinden bisheriger Nachteile oder einer besseren Differenzierung vom Wettbewerb, generell also dem Erreichen oder Wiedererlangen der Wettbewerbsfähigkeit. Die Stärke der Wertanalyse liegt insbesondere darin, dass unterschiedliche Methoden und Tools zusammengeführt und pragmatisch genutzt werden.

Abb.2: Der Erfolg von Wertanalyse-Projekten bemisst sich in unterschiedlichsten Dimensionen. Grafik: Krehl & Partner

Auf diese Soft Skills kommt es an

Die Projektarbeit im Team sollte zum Erreichen der Ziele methodisch fundiert und professionell durchgeführt werden. Soft Skills wie Kreativität und Kommunikationsfähigkeit spielen dabei eine wesentliche Rolle – gleichermaßen bei der Person, welche die Wertanalyse moderiert, als auch bei den Teilnehmenden aus dem Unternehmen. „Eine Voraussetzung ist es, dass das Management das Ergebnis wirklich will und den Weg dorthin unterstützt“, erklärt Meindl weiter. „Zudem ist von allen die Bereitschaft notwendig, sich aktiv einzubringen, transparent und konstruktiv miteinander zu kommunizieren, Wissen preiszugeben und Impulse, auch aus anderen Unternehmensbereichen, offen anzunehmen.“ Er zitiert in diesem Zusammenhang Albert Einstein: „Without changing our patterns of thought, we will not be able to solve the problems we created with our current patterns of thought.”

Zukünftige Handlungsfelder der Wertanalyse

Wert bedeutet im Kern, Nutzen ins Verhältnis zum Aufwand zu setzen. Die Aufgabe lautet somit, Produkte oder Leistungen zu entwickeln, die den Anforderungen der Kunden entsprechen – und das zu einem angemessenen Preis. „Damit geht die Wertanalyse stets über eine Kostenbetrachtung hinaus“, betont Sebastian Meindl. Für die seit 70 Jahren bewährte Methodik sieht er noch viele zukünftige Anwendungsbereiche. Die Entwicklung neuer Strategien und Geschäftsmodelle, Wertanalysen zur Prozessoptimierung, die Nutzung von Big Data, Megatrends wie Nachhaltigkeit und Energieeffizienz – das sind komplexe Anforderungen, auf die eine Value Analysis oder ein in die Zukunft gerichtetes Value Engineering innovative Antworten finden kann. Der Leiter der VDI-Tagung Wertanalyse unterstreicht abschließend: „Gerade diese Querschnittsaufgabe macht die Wertanalyse so anspruchsvoll – und gleichzeitig so zielführend wie auch nutzenstiftend.“

Zur Person

Sebastian Meindl ist seit 2004 bei Krehl & Partner tätig, seit 2008 als Geschäftsführer und Gesellschafter. Seine Beratungsschwerpunkte liegen in der Planung und Durchführung von Wertanalyse-Projekten zur Optimierung von bestehenden oder zu entwickelnden Produkten und Prozessen, vorrangig im Maschinen- und Anlagenbau. Nach seinem Abschluss als Dipl.-Ing. (Maschinenbau) war Sebastian Meindl als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich der Industrieforschung in den Themen Konstruktionstechnik, CAD und mechanischer Bewegungstechnik an der Universität Siegen tätig. Sebastian Meindl ist seit mehr als 20 Jahren ehrenamtlich im VDI aktiv, seit 2019 als stellvertretender Vorsitzender des Fachbereichs Value Management und Wertanalyse. Er besitzt die europäischen Zertifizierungen Professional für Value Management und Trainer für Value Management (PVM und TVM) ebenso wie die internationale Value Management-Zertifizierung Certified Value Specialist (CVS).