© MAN

Elektro-Lkw wird den Diesel mit günstigeren Betriebskosten überholen

Die Elektrifizierung prägt die Mobilität von morgen – nicht nur in Personenkraftwagen, sondern ebenso im Nutzfahrzeugbereich. Zu aktuellen Technologien und Trends wird sich die Fachwelt im Rahmen des 10. Internationalen VDI-Kongresses ELIV MarketPlace am 15. und 16. November 2022 in Baden-Baden beschäftigen. Antworten und Einblicke gibt vorab Marcel Hessel (MAN Truck & Bus SE, München).

Herr Hessel, welche Perspektiven erwarten Sie für die Elektrifizierung schwerer Lkw? Viele Branchenstimmen scheinen in diesem Segment, gerade für Long Distance Logistics, weiterhin Wasserstoff und Brennstoffzelle bessere Chancen zuzurechnen.

Marcel Hessel: Auf der IAA Transportation 2022 hat MAN den seriennahen Prototypen des neuen MAN eTrucks vorgestellt, der ab 2024 zu den ersten Kunden in den Einsatz gehen wird. Zusammen mit niedrigen Betriebskosten und der besten Energiebilanz bieten die batterieelektrischen Fahrzeuge die geeignetste Technologie für künftige CO2-freie Nutzfahrzeugflotten. Aktuelle Studien (PWC 2022) belegen, dass ein elektrisch betriebener Lkw bereits in 2025 dem Endkunden TCO-Vorteile bietet im Vergleich zum heutigen Diesel, wohingegen der Wasserstoff-Lkw erst viele Jahre später diese TCO-Parität erreichen wird. TCO steht in diesem Kontext für „Total Cost of Ownership“ und beschreibt die Summe aller Betriebskosten in „Cent pro Kilometer“, welches für unsere Kunden ein ausschlaggebendes Vergleichskriterium ist. Nachdem grüner Wasserstoff – vor allem in der Hochlaufzeit – noch sehr teuer sein wird und das Nutzfahrzeugsegment sehr TCO-sensitiv ist, gehen wir davon aus, dass dieser zunächst in anderen Branchen, zum Beispiel in der Chemie- oder Stahlindustrie, zum Einsatz kommen wird.

Warum führt am Megawattladen bei der Elektrifizierung im Nfz-Bereich kein Weg vorbei?

Hessel: Der neue MAN eTruck ist bereits für künftiges Megawatt-Laden vorbereitet, das heißt hohe Ladeleistungen bei kurzen Ladezeiten machen den Elektro-Lkw auch tauglich für den schweren Fernverkehr mit Tagesreichweiten von 600 bis zu 800 Kilometern. Zu einem späteren Zeitpunkt sind sogar bis zu 1000 Kilometer Tagesreichweite möglich. Diese Reichweiten sind natürlich nur mit einem ausreichend performanten Ladesystem – dem Megawatt Charging System (kurz: MCS) – möglich, welches das Aufladen in unter 45 Minuten auf der Strecke ermöglicht. Das Megawattladen oder besser gesagt der „Megawatt-Ladestandard“ ist somit die optimale Basis für die Elektrifizierung schwerer Trucks oder Reisebusse mit besonders kurzen Pausen- oder Standzeiten. Der Standard ist dabei mit einer maximalen Ladeleistung von bis zu 3,75 MW (3000A / 1250V) so konzipiert, dass er auch für die nächsten Jahrzehnte zukunftssicher ist.

Welche Hürden sind noch zu nehmen, um für MCS einen verbindlichen Standard zu finden?

Hessel: Nach mehr als zwei intensiven Jahren in einer globalen Taskforce aus OEMs, Ladesäulenherstellern, Ladesäulenbetreibern (CPOs) und weiteren wichtigen Stakeholdern im Rahmen der CharIn sind aus unserer Sicht die meisten und wichtigsten Anforderungen zu einem einheitlichen Ladestandard abgestimmt. Das Offensichtlichste ist dabei natürlich das MCS-Steckgesicht mit seinem markanten Dreiecksdesign, das bereits Anfang des Jahres offiziell an die Standardisierung übergeben werden konnte.

Einer der wenigen noch offenen Themenkomplexe ist die Basisladekommunikation, welche ursprünglich auf dem CCS basieren sollte, aber aus Robustheitsgründen der elektromagnetischen Verträglichkeit geändert werden muss. Die wohl größte Herausforderung für einen einheitlichen und verbindlichen Standard ist für uns eigentlich „die Zeit“ beziehungsweise dass auch ein verbindlicher Standard zum Einsatz der Fahrzeuge oder zum Aufbau entsprechender Ladeinfrastruktur verfügbar ist.

© MAN

Welche Herausforderungen etwa bezüglich elektrischer Sicherheit und Zuverlässigkeit sind Ihrer Ansicht nach zu lösen? Wann ist eine Marktreife des Megawattladens realistisch zu erwarten?

Hessel: Wie bei der letzten Frage bereits erwähnt findet die Entwicklung von Fahrzeugen wie auch der Ladeinfrastruktur parallel zur Standardisierung statt. Dennoch gehen wir davon aus, dass wir mit dem Markthochlauf der MCS-Ladesysteme in den Jahren 2024/25 ausreichend marktreife Produkte erwarten können. Beispielsweise sind wir als MAN Teil des sogenannten HoLa-Konsortiums (Hochleistungsladen für schwere Nutzfahrzeuge), indem wir bereits früh das MCS-Laden mit verschiedenen Ladesäulen- und Nutzfahrzeugherstellern erproben werden. Die wohl wichtigste Herausforderung im Bereich Laden in Bezug auf Zuverlässigkeit ist dabei die sogenannte „Interoperabilität“, das heißt die Fähigkeit, mit unterschiedlichen Ladesäulenherstellern möglichst fehlerfrei zu kommunizieren. Da der MCS-Standard im Vergleich zum CCS eine geänderte Ladekommunikation erhalten wird, sind hier erhebliche Aufwände zu erwarten.

Welche Vorteile (nicht nur) in Form von Emissionsreduzierungen sind Ihrer Ansicht nach durch die Elektrifizierung im Fernverkehr zu erwarten?

Hessel: Wir erwarten, dass kurz vor Mitte des Jahrzehnts in vielen europäischen Ländern die gesamten Betriebskosten für schwere E- und Diesel-Lkw gleich sein werden. In den Jahren danach wird das TCO-Pendel – in Abhängigkeit von den lokalen Begebenheiten und der Einsatzart des Fahrzeugs – immer mehr zugunsten der eTrucks ausschlagen.

Welche Erkenntnisse erwarten Sie aus der Praxiserprobung unter wissenschaftlicher Begleitung des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung?

Hessel: Das Fraunhofer-Institut leistet bereits heute sehr wichtige Arbeit mit seinen Analysen und Simulationen zur Auslegung eines geeigneten Ladeinfrastrukturnetzes in Europa. Durch diese Analysen können schon heute Abschätzungen über potenzielle Standorte europaweit vorhergesagt werden. Durch die Erkenntnisse aus der Praxis können so nun die theoretischen Daten validiert oder optimiert werden. Zum Beispiel könnte so die Lage des Standortes optimiert werden, aber auch die elektrischen Eigenschaften des Standortes, indem aus der Praxis hervorgeht, dass wesentlich mehr Ladevorgänge stattfinden und daher mehr Säulen, performantere Säulen oder ein größerer Energieanschluss benötigt wird.

Laut europäischer Herstellervereinigung ACEA werden bis 2025 europaweit 10.000 bis 15.000 öffentliche Ladepunkte mit hoher Ladekapazität benötigt. 2030 müssten es bereits 40.000 bis 50.000 Ladepunkte sein, um die umfassende Elektrifizierung des Straßengütertransportes zu ermöglichen. Wie realistisch ist das Erreichen dieser Ziele aus Ihrer Sicht?

Hessel: Diese Ziele sind ambitioniert und es bestehen noch große Hürden, um sie zu erreichen. Unter dem Dach der TRATON-Gruppe haben wir ein Joint Venture gegründet, das gemeinsam mit den Nutzfahrzeugherstellern Volvo und Daimler in den nächsten fünf Jahren für den Aufbau von mindestens 1.700 Hochleistungsladestationen in Europa sorgen wird. Das ist unterlegt mit einem Investment von 500 Millionen Euro. Damit senden wir ein Zeichen, dass die Industrie bereit ist und auf Elektromobilität setzt. Nun ist die Politik gefragt, den dringend notwendigen Infrastrukturausbau zu unterstützen, zum Beispiel bei Punkten wie beschleunigten Planungs- und Genehmigungsverfahren oder der Flächenbereitstellung von Grundstücken.

Im Rahmen des 10. Internationalen VDI-Kongresses ELIV MarketPlace wird es weitere Einblicke in die Zukunft der elektrifizierten Mobilität geben.