„Für das Transportsegment braucht es in Zukunft einen Mix der Antriebskonzepte“
„Transport und Logistik sind unverzichtbar, um Wirtschaft und Gesellschaft am Laufen zu halten und beispielsweise die Warenverfügbarkeit für die tägliche Versorgung der Menschen sicherzustellen.“ Das unterstreicht Jürgen Lehmann, Leiter Entwicklung Motoren & Abgasnachbehandlung, Daimler Truck AG und einer der Top-Redner beim 10. Internationalen Motorenkongress am 28. Februar und 1. März 2023 in Baden-Baden. Die Herausforderung lautet daher, Transporte zunehmend klimaneutraler darstellen zu können. Den aktuellen Stand der Entwicklung und zukünftige Perspektiven wird Lehmann im Zuge seiner Keynote auf dem Motorenkongress präsentieren.
„Selbstverständlich ist nicht zu verhehlen, dass Transporte auch zur Kohlendioxid-Thematik beitragen. Über alle Transportsparten hinweg spricht man von einem Anteil von etwa sieben Prozent aller globalen CO2-Emissionen“, macht der Motorenfachmann deutlich. Aus seiner Sicht wird eine dreigleisige Strategie notwendig sein, gerade auch mit Blick auf Gegebenheiten und gesetzliche Regularien in den verschiedenen Teilen der Welt: „Als erstes Ziel macht es Sinn, den Dieselmotor weiter hinsichtlich der Verbrauchs- und Emissionswerte zu verbessern, insbesondere für den Long-Haul-Bereich“, unterstreicht Lehmann. Als die beiden weiteren Standbeine werden aus seiner Sicht in den kommenden Jahren batterieelektrische Antriebe sowie wasserstoffbasierte Antriebe wie die Brennstoffzelle an Bedeutung gewinnen.
Elektrifizierung allein reicht nicht
Gleichzeitig unterstreicht Jürgen Lehmann: „Allein auf batterieelektrische Lösungen zu setzen, wird für das Transportsegment in Europa auf absehbare Zeit nicht realistisch sein, schon aufgrund des erhöhten Strombedarfs.“ Hinzu komme bei einer ökologischen Betrachtung die Frage, wie viel im europäischen Strommix tatsächlich aus regenerativen Quellen stammt. „Wasserstoff wird daher als Teil der Lösung im Bereich klimaneutraler Antriebe kommen müssen. Daran wird aktuell intensiv geforscht und gearbeitet.“
TCO und gesetzliche Regularien in Einklang bringen
Global werden verschieden Antriebskonzepte über lange Jahre Bestand haben, dabei seien sicherlich auch regionale Besonderheiten zu beachten. „Europa unterstützt aktiv die Transformation hin zur Elektromobilität“, analysiert Jürgen Lehmann. Während beispielsweise China mit unterschiedlichen Antriebstechnologien den Weg in Zukunft beschreitet, sind die Entwicklungen in Südamerika oder Afrika noch nicht absehbar. „Entscheidend ist am Ende, was der Gesetzgeber den Fahrzeugherstellern vorgibt und was der Kunde, im Logistikbereich insbesondere unter dem Aspekt des Total cost of ownership, sich von uns wünscht.“
Vorteile für urbane Verkehre
Elektrische Antriebe sind insbesondere für urbane Bereiche von großer Bedeutung – ob es sich nun um Stadtbusse oder auch leichtere Transportfahrzeuge von Kurier- und Paketdienstleistern handelt. „Es ist der klare Trend erkennbar, derartige Anwendungsbereiche als erstes zu elektrifizieren. Hier liegen die Vorteile vor allem in der Verminderung von Geräuschemissionen und der Verbesserung der lokalen Luftqualität“, sagt Lehmann weiter: „Wenn es um die Klimawirksamkeit geht, müssen natürlich insbesondere auch die Long-Haul-Trucks auf klimaneutrale Antriebskonzepte umgestellt werden.“
Megawatt-Charging oder „langsames“ Laden?
Und wie entwickelt sich die Lade-Infrastruktur für E-Trucks? Der Motorenfachmann sieht die vieldiskutierte Lösung des Megawatt-Charging als Ausnahme – beispielsweise um unterwegs etwa auf langen Distanzen bei Bedarf nachzuladen. „In der Breite erwarte ich eher ein Laden bei niedrigeren Leistungen mit bis zu 300kW. Das ist im Wesentlichen drei Aspekten geschuldet. Neben den steigenden Stromwärmeverlusten, welche quadratisch mit dem Strom einhergehen, werden die Stromkosten an MW-Ladestationen wie Raststätten oder Autohöfen um ein Vielfaches höher sein als auf dem heimischen Betriebshof. Logischerweise lassen sich die Betreiber die sehr hohen Investitionskosten der MW-Ladestationen vergüten. Neben dem verschlechterten Ladewirkungsgrad und den erhöhten Stromkosten darf man ebenfalls die schnellere Batteriealterung bei entsprechend hohen Ladeströmen nicht vernachlässigen.“
Für hohe Tagesfahrstrecken kann es daher sinnvoll sein, an noch höherer installierter Batteriekapazität zu arbeiten – oder eben wasserstoffbasierte Antriebe einzusetzen. Dafür wiederum brauche es mehr Rechtssicherheit, um die hohen Anfangsinvestitionen zur Etablierung einer Wasserstoffwirtschaft darstellen zu können.
Erhebliche Effizienzgewinne beim Diesel
Neben aller Diskussionen um klimaneutrale Antriebe hat aber auch der Diesel weiter seine Berechtigung – als bewährtes und immer weiter verbessertes Konzept. Nicht zu verkennen ist dabei, dass in der Motorentechnik in den vergangenen Jahren nochmals enorme technologische Fortschritte erzielt wurden, was die Verbrauchs- und somit auch die CO2-Reduktion betrifft, unterstreicht Lehmann weiter: „Allein im Fahrzeugsegment Long-Haul ist es gelungen, den durchschnittlichen Verbrauch seit 2011 über 20 Prozent zu senken.“
Neben der Motorentechnik haben dabei auch Anwendungen der Telematik ihren Anteil, ebenso wie auf Seiten der Flottenbetreiber die Vermeidung von Leerfahrten sowie eine intelligente Routenplanung. Die Feinstaub- und Stickoxid-Themen hingegen, die vor wenigen Jahren noch die Gemüter beschäftigt haben, spielen inzwischen fast keine Rolle mehr: „Die NOX-Emissionen haben wir mit Euro 6 massiv reduziert und somit die Anforderungen erfüllt“, so der Top-Redner des Internationalen Motorenkongresses. Diese positive Entwicklung zeige, was mit technologischem Fortschritt und permanenter Verbesserung möglich ist.