Software in einer vernetzten E/E-Architektur
Bei softwaredefinierten Fahrzeugen führt der Weg zu herstellerübergreifenden Betriebssystemen mit Entwickler-SDK
Ganz gleich, ob vernetzte Mobilität, Fahrerassistenzsysteme und autonomes Fahren, E-Mobility oder Shared Mobility – die heutigen und zukünftigen Megatrends in der automobilen Entwicklung sind ohne Software nicht mehr vorstellbar. Viele dieser Themen werden auch den 10. Internationalen VDI-Kongress ELIV MarketPlace prägen.
Mit der zentralen Bedeutung von Software für die automobilen Trends verbindet sich eine grundlegende Frage: Benötigt jeder Hersteller sein eigenes Betriebssystem oder können die OEMs stattdessen zielgerichteter auf vorhandenen Software-Plattformen aufsetzen? Für Dr. Jan Becker, Gründer und CEO der Apex.AI, Inc. in Palo Alto (USA) und einer der Referenten auf der ELIV MarketPlace, beantwortet sich diese Frage von allein. „Schon aus Gründen der begrenzten finanziellen und personellen Ressourcen macht es Sinn, ein Basisbetriebssystem zu verwenden und sich als OEM vornehmlich auf diejenigen Softwareentwicklungsprojekte zu konzentrieren, die zur erfolgreichen Differenzierung gegenüber dem Wettbewerb beitragen.“ Dabei gilt nach seinen Worten eine simple Grundregel: Je besser das Betriebssystem sei, umso effizienter könnten die Entwickler auch programmieren und ein schnelleres Time-to-Market ermöglichen.
Softwarebasierte Fahrzeuge von morgen
Der Wandel zu einer softwarezentrierten Architektur, die offen und durchgängig ist, habe im Automobil längst begonnen: „Die Funktionen der Fahrzeuge werden in Zukunft viel nahtloser ineinandergreifen, als es heute der Fall ist.“ Für die kommende E/E-Architektur erwartet Dr. Becker einen vollkommen neuen Aufbau: „Sie wird auf einer leistungsfähigeren Multicore-Rechenplattform, dem Domain Controller, basieren und zentralisiert die Ressourcen für Domänen wie den Antriebsstrang, das Fahrwerk, das Cockpit oder die verschiedenen Fahrerassistenzfunktionen. Dies erfordert ein Netzwerk mit viel höherer Bandbreite und verschärft die Anforderungen an die Sicherheit und den Schutz vor Zugriffen von außen.“ Oder anders formuliert: Eine heute noch komplexe Systemarchitektur mit einfacher Software wandelt sich zu einer einfachen Systemarchitektur mit komplexer Software.
SDKs und ihre Chancen im Automobil
Dieser Wandel bringe mehr Effizienz in der Entwicklung, kontrollierbare Sicherheitsaspekte sowie die Möglichkeit von Over-the-Air-Updates mit sich. Dr. Becker erwartet eine Entwicklung, ähnlich wie es beim Smartphone zu beobachten war. „Als Apple die erste Generation des iPhone vorstellte, gab es noch mehr als zehn Smartphone-Betriebssysteme – heute sind davon noch zwei übrig geblieben.“ Stabil und sicher funktionierende Basissoftware wie etwa Android biete den Vorteil, sie nach eigenem Bedarf flexibel konfigurieren zu können. „Das reicht vollkommen aus für eine individuelle, schnelle Softwareentwicklung.“ Als Analogie zur Smartphone-Entwicklung gewinnen damit sogenannte Software Development Kits (SDK) stark an Bedeutung. „Sie machen das Komplexe einfach, bei gleichzeitig umfassender Funktionalität, und stellen gemeinsame, einfach zu verwendende Schnittstellen bereit, sogenannte Application Programming Interfaces (API).“
Dabei sieht Dr. Becker Parallelen zur Robotik. Dieser Bereich stand vor etwa 15 Jahren vor ähnlichen Herausforderungen wie heute die Automobiltechnik – mit singulären Softwarelösungen ohne SDK. „Das änderte sich, als das Open-Source-Software-Framework Robot Operating System (ROS) von Willow Garage vorgestellt wurde.“ Heute ist ROS das führende Robotik-Framework, die im Jahr 2017 vorgestellte umfassende Überarbeitung ROS 2 geht noch darüber hinaus. „Ein wesentlicher Vorteil von ROS 2 ist die standardisierte Softwarearchitektur, die auf offenen APIs basiert, um untereinander kompatible Lösungen für viele Hersteller, Lieferanten und Hochschulen zu ermöglichen.“
Konzentration und Effizienz in der Entwicklung
ROS 2 erfüllt jedoch noch nicht die Kriterien, um eine mögliche Zertifizierung für funktionale Sicherheit im Automobilbereich zu erlangen. Die wurden erst von Apex.AI mit dem von ROS 2 abgeleiteten Meta-Betriebssystem Apex.OS geschaffen. Mit ihm lassen sich herstellerübergreifende Lösungen zusammen mit Ökosystempartnern realisieren, externe Werkzeuge und Software sind einfacher zu integrieren. Diese Perspektiven der automobilen Softwareentwicklung bieten nach Dr. Beckers Worten einige zentrale Vorteile: Sie ermöglichen die Konzentration auf wettbewerbsdifferenzierende Funktionen, schaffen mehr Effizienz über den gesamten Programmierprozess hinweg und ermöglichen damit eine erhebliche Verkürzung der Zeitspanne bis zur möglichen Markteinführung. Im Rahmen des 10. Internationalen VDI-Kongresses ELIV MarketPlace wird er weitere Einblicke geben.