Funktionale Sicherheit in der Verfahrensindustrie – ein Interview mit Peter Wiecha

Wie lassen sich Gefahren mit HAZID, HAZOP und LOPA Analysen im Voraus identifizieren?

Die Störfallverordnung fordert von Betreiber*innen erforderliche Vorkehrungen zu treffen, um Störfälle zu vermeiden. Dabei müssen die Beschaffenheit und der Betrieb der Anlagen dem Stand der Sicherheitstechnik entsprechen. PLT-Sicherheitseinrichtungen können dabei verwendet werden, wenn andere Maßnahmen nicht ausreichend oder bei vergleichbarer Risikoreduzierung nicht wirtschaftlich sind. Im Interview sprechen wir mit Peter Wiecha, Leiter des VDI Seminars Funktionale Sicherheit in der Verfahrensindustrie – die VDI/VDE 2180, warum Funktionale Sicherheit in der Verfahrensindustrie wichtig ist und welche Methodiken dabei eine zentrale Rolle einnehmen.

 

1. Herr Wiecha, bitte stellen Sie sich kurz vor.

Mein Name ist Peter Wiecha und ich lebe mit meiner Familie nördlich von Frankfurt in der schönen Wetterau. 2016 habe ich mich als Berater im Bereich des Risikomanagements selbstständig gemacht. In dieser Tätigkeit unterstütze ich eine Vielzahl von Unternehmen und darf mittlerweile auch für das VDI Wissensforum zwei Seminare im Bereich HAZOP/LOPA sowie im Bereich der Funktionalen Sicherheit anbieten.

2. Warum ist eine systematische Gefahrenanalyse für verfahrenstechnische Anlagen wichtig?

In vielen verfahrenstechnischen Anlagen steckt aufgrund der gehandhabten Stoffe, der herrschenden Druckverhältnisse und Temperaturen ein gewisses Risikopotential. Die Störfall-Verordnung fordert von Betreibern Vorkehrungen zu treffen, um Störfälle zu verhindern. Bevor ich jedoch in der Lage bin, geeignete Vorkehrungen zu treffen, muss ich erst einmal verstehen, an welchen Stellen in meiner Anlage ein Risiko besteht. Um diese zu ermitteln, ist es notwendig, systematisch und Stück für Stück eine Anlage zu analysieren. Erst danach hat man ein klares Bild der Risiken in der eigenen Anlage bzw. im eigenen Betrieb. Dies ermöglicht es, anschließend geeignete Gegenmaßnahmen zu definieren oder zu bewerten.

3. Was genau sind die HAZOP und LOPA Methodiken und welche Vorteile bieten sie im Vergleich zu anderen Vorgehensweisen?

In meiner täglichen Arbeit würde ich sagen, dass die HAZOP (Hazard and Operability Study) mittlerweile das Standardverfahren für Anlagen in der Prozessindustrie ist. Die HAZOP ist ein systematisches Verfahren. Angeleitet von Leitworten analysiert man eine komplette Anlage, um mögliche Ursachen und deren Konsequenzen zu identifizieren. In den meisten Fällen wird zusätzlich noch eine Bewertung mittels einer Risikomatrix durchgeführt. Die HAZOP erlaubt je nach Ausgestaltung oftmals auch noch eine Bewertung der vorhandenen Gegenmaßnahmen, um zu prüfen, ob ein Szenario auch hinreichend abgesichert ist.

Die LOPA (Layer of Protection Analysis) ist für mich die optimale Schnittstelle, um von der HAZOP den nächsten Schritt im Bereich der Funktionalen Sicherheit zu gehen. Hier werden Eintrittshäufigkeiten, Modifikationsfaktoren und Barrieren quantitativ bewertet. Statt „Bauchgefühl“ gibt es in der LOPA strikte Grenzwerte, gegen die man sein Sicherheitskonzept prüft. Entspricht das Sicherheitskonzept nicht den Bestimmungen, können aus den LOPA-Anforderungen in Form von geforderten PFD-Werten, bzw. SIL-Level für PLT-Sicherheitseinrichtungen gezogen werden. Während mir die LOPA vor allem aus amerikanisch geprägten Konzernstrukturen bekannt ist, ist hier in Deutschland, meiner Erfahrung nach, vor allem der Risikograph (VDI/VDE 2180) verbreitet. Der Risikograph erscheint vielen auf den ersten Blick einfacher in der Anwendung. Die LOPA bietet dagegen nach meiner Erfahrung die Möglichkeit, alle vorstellbaren Sicherheitsmaßnahmen quantitativ zu bewerten und für einzelne Szenarien die bestmögliche Sicherheitsphilosophie zu entwickeln. Sie bietet dabei eine gute Vergleichbarkeit zwischen verschiedenen Szenarien und kann viel Emotionalität aus Diskussionen nehmen.

4. Welche Rolle spielt der Faktor Mensch dabei?

Der Faktor Mensch ist ein ganz entscheidender Faktor, denn die Studien werden von Menschen erstellt. Am Ende ist eine Studie also nur so gut, wie die Teilnehmenden, die bei der Erstellung mitwirken. Doch nicht nur bei der Erstellung der Studien spielt der Mensch eine Rolle, sondern auch in den Prozessanlagen selbst. Wenn man sich Unfälle/Störfalle aus der Vergangenheit anschaut, ist der Faktor Mensch bei fast jedem Ereignis ein wichtiger Faktor in der Kette der Dinge, die nicht richtig funktioniert haben, gewesen. Das menschliche Verhalten angemessen zu berücksichtigen und als mögliche Ursache in Betracht zu ziehen ist wichtig, aber nicht immer ganz einfach.

5. Welche Inhalte wird das Seminar Funktionale Sicherheit in der Verfahrensindustrie vom VDI Wissensforum anbieten und an welche Zielgruppe richten sie sich? Warum ist es wichtig das Seminar zu besuchen?

Das Seminar dreht sich um die Funktionale Sicherheit im Kontext der VDI 2180. Hier geht es mir darum, den Teilnehmenden einen Überblick über das Konzept der Funktionalen Sicherheit zu geben und alle Bausteine des Konzeptes vorzustellen. Zusätzlich wenden wir einige Methodiken wie HAZOP oder Risikograph in kleineren Übungen an, damit jeder neben der Theorie auch ein Gefühl dafür bekommt, wie das in der praktischen Umsetzung aussieht. Dabei spielen natürlich auch Methoden wie die HAZOP eine große Rolle. Das Seminar sollte jeder besuchen, der sich mit Anlagensicherheit und der Störfallverordnung beschäftigt, und für den Funktionale Sicherheit bisher eher ein Fremdwort war.

Über den Autor

Peter Wiecha, Consultant Risk Management, Peter Wiecha, Wöllstadt

Peter Wiecha ist Spezialist für technisches Risikomanagement und berät seit vielen Jahren Unternehmen im In- und Ausland. Seine Projekte umfassen klassische, qualitative Risikostudien (HAZID/HAZOP/LOPA), aber auch quantitative Ansätze (QRA) und Ausbreitungsrechnungen. Zusätzlich berät er Firmen bei Fragen im Zusammenhang mit der Störfallverordnung und der Funktionalen Sicherheit.