19.07.2016

Ganzkörperschwingungen - Eine Herausforderung in der Sitzentwicklung

1. Einleitung

Bezüglich der Interaktion zwischen Insasse und Fahrzeug ist der Sitz die entscheidende Komponente, siehe Bild 1. Grund hierfür ist, dass der Sitz maßgeblich den Insassen unterstützt und über diesen Weg alle Kräfte infolge Gravitation und Beschleunigungen abgetragen werden. Darüber hinaus spielen noch andere Komponenten wie z.B. das Lenkrad eine Rolle für den Komfort, siehe Bild 1, welche aber im Vergleich zum Sitz eher gering ist.

Bild 1

Bei der Auslegung und Entwicklung neuer Sitze gibt es eine Vielzahl von Anforderungen, von denen verschiedene im Gegensatz zueinander stehen. Im Konstruktionsprozess hat das Crash-Verhalten der Sitzstruktur höchste Priorität, wobei die Vorgaben verschiedener Normen, z.B. US-NCAP oder EuroNCAP, erfüllt werden müssen. Andere Anforderungen ergeben sich aus dem Produktionsprozess, welcher sich auf die Fertigbarkeit konzentriert. Letztlich stehen dann noch ökonomische Effekte wie stetige Reduzierung von Gewicht, Zeit und Kosten im Vordergrund, um im harten Wettbewerb bestehen zu können. Für den späteren Endkunden steht bei der Bewertung von Fahreigenschaften der erlebbare statische und dynamische Sitzkomfort im Fokus. Dieser bestimmt maßgeblich das Empfinden und führt zu einer An- bzw. Entspannung bei der Fahrt.

Bevor eine Optimierung des Sitzkomforts durchgeführt werden kann ist es wichtig, das Verhalten des belegten Sitzes sowie den Einfluss einzelner Komponenten sowie deren Interaktion zu verstehen. Obwohl dies bereits für den statischen Komfort sehr komplex ist, stellt der dynamische Komfort noch eine größere Herausforderung dar. Eine generelle Größe zur Bewertung des dynamischen Komforts ist die Sitzübertragungsfunktion.

Im Rahmen dieses Papers werden die einzelnen Teile des belegten Sitzes in Bezug auf den dynamischen Sitzkomfort erläutert und bewertet. Darauf aufbauend wird die Sitzübertragungsfunktion als mögliche Bewertungsgröße abgeleitet. Abschließend wir der aktuelle Stand der Technik für die Bewertung des dynamischen Sitzkomfort vorgestellt.

2. Dynamischen Eigenschaften des belegten Sitzes

In Bezug auf dynamischen Komfort kann der belegte Sitz in drei Hauptkomponenten aufgeteilt werden: die Sitzstruktur einschließlich der Anbauteile wie Motoren und Airbags, die Polsterung bestehend aus Schaum, Kaschierung und Bezug, und den menschlichen Körper. In den folgenden Unterkapiteln werden die dynamischen Eigenschaften jeder Komponente im Detail beschrieben.

Bild 2

2.1. Sitzstruktur

Neben dem Design der A-Surface und des Packages, ist die Auslegung der Struktur einer der ersten Schritte bei der Sitzentwicklung. Der strukturelle Aufbau wird im Hinblick auf Festigkeit, Crash und Noise Vibration Harshness (NVH) bewertet. Ein wichtiger Teil der NVH Untersuchungen ist die Bestimmung der Eigenwerte bestehend aus Eigenformen und Eigenfrequenzen. Dies kann numerisch über die Finite-Elemente-Methode (FEM) oder experimentell über  eine Modalanalyse (EMA) erfolgen. Die für den Sitzkomfort relevanten Eigenformen ergeben sich im Bereich bis zu 40 Hz.

Die Eigenformen Lehne längs und quer sowie die Torsion, siehe Bild 2, werden durch die vorhandenen Steifigkeiten und die Massenverteilung bestimmt. Aufgrund der größeren Nachgiebigkeiten sind dabei die vorhandenen Gelenke wie Recliner, Höhen und Längsversteller entscheidend.

Die für die Eigenformen ermittelten Frequenzen ermöglichen bereits eine erste Bewertung der Sitzstruktur. Hierfür müssen die Anregungsspektren an der Sitzschiene als eine Kombination aus Straßenprofil, Rohkarosserie und Antriebstrang bekannt sein. Bei der Auslegung der Sitzstruktur ist darauf zu achten, dass es nicht zu einer Überlagerung der Eigenfrequenzen mit Frequenzbereichen starker Anregungsintensität kommt. Ist dies der Fall, muss die Sitzstruktur bezüglich Masse oder Steifigkeit angepasst werden.

2.2. Unbelegter Sitz

Der nächste Schritt in der Entwicklung befasst sich mit dem unbelegten Sitz, also die Kombination aus Struktur und Bepolsterung (Bezug, Kaschierung und Schaummaterial), siehe Bild 3. Alle Materialien der Bepolsterung sind nichtlinear und hyperelastisch. Im Hinblick auf den strukturellen Aufbau stellt die Polsterung eine Erhöhung der Masse, aber keine zusätzliche Steifigkeit, dar. Unter Verwendung der allgemeinen Gleichung für die Eigenfrequenz ω definiert über die Steifigkeit k und die Masse m, kann im Entwicklungsprozess die Verschiebung der Eigenfrequenzen schnell und einfach ermittelt werden.

Bild 3

Wie für die Struktur erfolgt auch für den unbelegten Sitz eine Bewertung der Eigenfrequenzen im Vergleich zur Anregung und globalen Moden des Fahrzeugs. Im Falle von Resonanz Überlagerungen können während der Fahrt sichtbare Schwingungen der Rückenlehne oder der Kopfstütze auftreten. Dies stellt für den Fahrer einen indirekten Diskomfort dar, welchen er visuell wahrnehmen wird. Im Gegensatz dazu repräsentiert dies für Insassen im Fondbereich einen direkten Diskomfort, da eventuell Funktionen von Entertainment Systemen im Bereich der Rückenlehne beeinflusst werden.

Hauptaugenmerk liegt bei der Bepolsterung, speziell dem Schaum, auf den Materialeigenschaften. Sie bestimmen den Sitzkomfort maßgeblich, da sie die Schnittstelle zum Insassen definieren. Bezüglich der auftretenden Vibrationen wird der Insasse abhängig von der Steifigkeit und der Dämpfung des Schaums mehr oder weniger isoliert. Üblicherweise werden Schaummaterialien über die Kenngrößen Härte, Hysterese und Dichte beschrieben. Diese skalaren Größen reichen aber nicht für eine Beschreibung des nichtlinearen und frequenzabhängigen Verhaltens aus.

Grafik zum Spannungs-Dehnungs-Verhalten

Bild 4

Zur Bestimmung der Materialeigenschaften der Schäume müssen statische und dynamische Messungen durchgeführt werden. Das statische Testverfahren basiert auf der Norm ISO 3386-1 [1]. Dabei werden Schaumproben (400 x 400 x 100 mm³) zwischen zwei Starrkörpern uniaxial um bis zu 70 % komprimiert. Aufgrund ihrer Zellstruktur zeigen Schäume ein typisches Spannungs-Dehnungs-Verhalten, siehe Bild 4.

Anhand des Verlaufs ist erkennbar, dass eine skalare Größe nicht ausreicht, um dieses Material zu beschreiben. Für die Sitzentwicklung ist es aber entscheidend alle Arbeitsbereiche des Schaums beschreiben zu können, da diese für die verschiedenen Belastungsszenarien mit Insassen wie z.B. f05 mit 48 kg und m95 mit 101 kg relevant sind.

Die Vorkompression aus der statischen Belastung ist der Ausgangspunkt für jede dynamische Betrachtung. Für den dynamischen Sitzkomfort sind die viskoelastischen Eigenschaften des Schaums entscheidend, da sie die an der Sitzschiede auftretenden Vibrationen dämpfen. Die dynamischen Materialeigenschaften des Schaums sind abhängig von Anregungsfrequenz und Vorkompression und werden über eine Erweiterung des statischen Tests erfasst. Dabei wird Probe zuerst auf 10 bis 60 % vorkomprimiert und dann um den erreichten Arbeitspunkt mit einer harmonischen Amplitude im Frequenzbereich von 1 bis 30 Hz angeregt. Die aufgebrachte Amplitude variiert von 0,5 bis 4,0 mm, um die Intensität der realen dynamischen Exposition wiederzugeben.

Grafik zur Vorkompression

Bild 5

Basierend auf den Versuchsergebnissen wird das dynamische viskoelastische Verhalten der Schäume über den komplexen E-Modul definiert. Da dies von Vorkompression und Frequenz abhängt, erfolgt die Bestimmung für jedes Versuchsszenario separat. Nachfolgend ist in Bild 5 das Ergebnis für einen Schaum bei 20 % Vorkompression angezeigt. Die Abbildung zeigt den Vergleich zwischen den Messergebnissen und einer entsprechenden FE-Simulation. Anhand des gezeigten Kurvenverlaufs für die Magnitude und die Phase ist erkennbar, dass Steifigkeit und Dämpfung typischerweise mit der Frequenz zunehmen.

Abhängig von den viskoelastischen Eigenschaften des Schaummaterials werden die Schwingungen mehr oder weniger verringert. Hier ist besonders hervorzuheben, dass eine vollständige Isolierung des Fahrers von der Schwingung nicht empfehlenswert ist. Neben visuellen Informationen aus Straßen- und Instrumentenblick sind die Beschleunigungen das wichtigste Feedback für den Fahrer bezüglich des Fahrzeugverhaltens auf der Straße. Zusätzlich sind die Vorstellungen der Kunden zum dynamischen Sitzkomfort, welche für unterschiedliche Fahrzeugtypen wie SUV oder Sportwagen variieren, bei der Auslegung zu berücksichtigen.

Neben dem Schaummaterial sind der Bezug und die Kaschierung die Hauptbestandteile der Polsterung. Im Allgemeinen ist der Einfluss dieser beiden Komponenten auf die Sitzdynamik eher gering.

2.3. Insasse

Der zweite Teil des belegten Sitzes ist der Insasse. Für das dynamische Gesamtverhalten sind in einem ersten Schritt die globalen Resonanzen des menschlichen Körpers wichtig, welche nachfolgend aufgeführt werden: 

  • Kopf in x und y-Richtung 1 - 3 Hz
  • Lendenwirbelsäule und Rumpf in z-Richtung 4 - 6 Hz
  • Bauch- und Beckenbereich 8 - 12 Hz
  • Schulter und Oberarme 9 - 14 Hz
  • Kopf in z-Richtung 20 - 30 Hz
Bild einer Versuchsperson

Bild 6

Eine allgemeine Größe zur Beschreibung des dynamischen Insassenverhaltens im Frequenzbereich ist die schwingende Masse, [2]. Sie beschreibt die dynamische Last eines Insassen auf eine Sitzoberfläche infolge einer harmonischen Anregung. Die Größe wird mit menschlichen Versuchspersonen auf einem starren Sitz gemessen, siehe Bild 6.

Formel 2: Definition schwingende Masse

Bei der Messung tritt infolge der eingeleiteten Beschleunigung QS eine Reaktionskraft FS auf dem starren Sitz ein, welche über Kraftmessplatten erfasst wird. Basierend auf dem zweiten Newtonschen Gesetz kann somit die wird die schwingende Masse wie folgt bestimmt werden:

Anhand der schwingenden Masse können menschliche Perzentile in Bezug auf Körpermasse unterschieden werden. Dadurch eignet sich diese Größe gut zur Beschreibung des dynamischen Verhaltens eines menschlichen Körpers. Dementsprechend ist diese schwingende Masse auch eine sehr wichtige Größe bei der Validierung von Ganzkörpermodellen, welche zur Untersuchung des dynamischen Sitzkomforts eingesetzt werden. Nachfolgendes Bild zeigt einen Vergleich von Messungen verschiedener Probanden (Perzentil m50) im Vergleich zu dem Ergebnis des FE-Modell CASIMIR [3].

Im Verlauf bis 20 Hz treten verschiedene Resonanzen auf, welche den zuvor aufgeführten globalen Resonanzen des menschlichen Körpers zugeordnet werden können. Die maßgebliche Eigenform liegt auf dem starren Sitz bei ca. 5 Hz und kann über eine vertikale Schwingung des Oberkörpers über dem Becken beschrieben werden.

Grafik zu Ganzkörperschwingungen

3. Sitzübertragungsfunktion

Wie bereits zuvor erwähnt ist die Sitzübertragungsfunktion derzeit die wichtigste Kenngröße zur Bewertung des dynamischen Sitzkomforts. Sie spiegelt das Verhalten des kompletten Systems bestehend aus Mensch, Bepolsterung und Sitzstruktur wieder. Die Sitzüber-tragungsfunktion ist über den Quotienten aus Beschleunigung an der Bezugsoberfläche geteilt durch die Anregung and der Sitzschiene definiert. Sie ist somit eine Kenngröße für die Isolationseigenschaften des Sitzes, d.h. wieviel der Anregung wird an den Insassen weitergeleitet. Die Herleitung der Sitzübertragungsfunktion kann allgemein über das Kräftegleichgewicht an der Sitzoberfläche erfolgen, siehe Bild 8.

Formel 3 zu Ganzkörperschwingungen

Die an der Sitzoberfläche auftretende Kraft FS ergibt sich auf der Seite des Insassen aus der Beschleunigung in Kombination mit der schwingenden Masse, siehe Formel 2. Auf der Strukturseite kann sie über die dynamische Steifigkeit des Sitzes in Kombination mit der Verschiebung zwischen Oberfläche, qS, und Sitzschiene, q0, definiert werden, siehe Formel 3:

Ganzkörperschwingungen Formel 4

Führt man die beiden Formeln 2 und 3 über die Schnittkraft FS zusammen und ersetzt die Verschiebungen qS und q0 mit den entsprechenden Beschleunigungen, so kann die Sitzübertragungsfunktion folgendermaßen bestimmt werden:

Bild eines Resonanzversuches

Anhand der Formel ist klar erkennbar, dass neben der dynamischen Sitzsteifigkeit die schwingende Masse des menschlichen Körpers maßgeblich ist und berücksichtigt werden muss. Vereinfachte Messungen oder Simulationen, in denen der Sitz nur durch eine starre Masse belastet wird, wie es z.B. bei Resonanzversuchen der Fall ist (siehe Bild 9), sind zur Berechnung der Sitzübertragungsfunktion nicht geeignet.

Bild 10 Ganzkörperschwingungen

Bei einem Resonanzversuch besteht der Aufbau aus nur einem Freiheitsgrad, welcher sich aus der starren Masse in Kombination mit den Schaumeigenschaften ergibt. Die daraus ermittelte Sitzübertragungsfunktion besitzt somit auch nur eine Resonanzstelle, deren Frequenzlage und Amplitudenhöhe maßgeblich über den Schaum variiert werden kann. Schaut man sich dagegen das Ergebnis mit einem Probanden an, so können klare Unterschiede erkannt werden, siehe Bild 10.

Dabei werden die Frequenzlagen der Peaks durch die Resonanzen der Sitzstruktur und des menschlichen Körpers bestimmt. Die Steifigkeit des Schaums hat hier nur einen geringen Einfluss auf die Frequenzen. Betrachtet man die allgemeinen Merkmale der Übertragungsfunktion, lassen sich aufgrund der dynamischen Eigenschaften von Insasse, Sitzstruktur und Schaum folgende Zusammenhänge festlegen:

  • Dynamische Eigenschaften des Insassen beeinflussen Frequenzlage und Amplitude der Peaks bis etwa 12 Hz.
  • Dynamische Eigenschaften der Sitzstruktur beeinflussen Frequenzlage der Peaks ab etwa 10 Hz.
  • Dynamischen Eigenschaften des Schaums beeinflussen Amplitudenniveau über kompletten Frequenzbereich.

Basierend auf diesem Zusammenhang können Entwicklungsingenieure den Verlauf der Sitzübertragungsfunktion beeinflussen, indem sie die globalen Resonanzen der Sitzstruktur ändern oder das Schaummaterial austauschen bzw. entsprechende Anforderungen der Materialeigenschaften definieren.

Unabhängig davon ist immer zu berücksichtigen, dass die Sitzübertragungsfunktion nur ein Bewertungskriterium für das Isolierverhalten des Sitzes ist. Um das eigentliche Anregungsniveau der Beschleunigungen für den Insassen zu bestimmen ist die Sitzübertragungsfunktion mit der Exposition an der Sitzschiene zu überlagern.

4. Bewertungsverfahren

Die theoretischen Zusammenhänge zur Definition des dynamischen Sitzkomforts sind bereits komplex. Die eigentliche Herausforderung besteht aber in der durchzuführende Bewertung der ermittelten Größen wie z.B. der Sitzübertragungsfunktion. Ziel ist hier einerseits die physikalischen Größen in Zusammenhang zu subjektiven Empfindungen der Insassen zu stellen. Andererseits müssen Grenzwerte definiert werden, welche bei der Auslegung neuer Designs zu berücksichtigen sind.

Die folgenden Unterkapitel beschreiben kurz den aktuellen Stand der Technik bezüglich Bewertungsverfahren des dynamischen Sitzkomforts. Eine optimale allgemeine Definition von Zielgrößen ist auch mit diesen Methoden nicht möglich, da diese je nach den Erwartungen des Fahrers, des Herstellers und der Vorgabe des Fahrzeugdesigns variieren.

Ganzkörperschwingungen Bild 11

Bild 11

4.1. Kenngrößen der Sitzübertragungsfunktion

Standardmäßig erfolgt eine Bewertung über die nachfolgenden Kenngrößen der Sitzübertragungsfunktion:

  • fres   –    Frequenz bei Hauptresonanz,
  • Ares   –    Amplitude bei Hauptresonanz,
  • fiso      –    Frequenz bei Beginn des Isolationsverhaltens und
  • Aiso    –    Amplitude nach Isolation.

Die Parameter sind in Bild 11 anhand eines typischen Verlaufs dargestellt.

Eine absolute Bewertung des Sitzkomforts ist anhand dieser Parameter nur über den Vergleich mit definierten Zielgrößen aus Probandenversuchen oder mit bestehenden Erfahrungswerten möglich. Nachteil dieser Methode ist, dass nur der belegte Sitz berücksichtig wird. Die Wechselwirkung mit dem Fahrzeugdesign wird nicht berücksichtigt, wodurch die eigentliche Einwirkung auf den Insassen nicht bestimmt werden kann.

Ganzkörperschwingungen Formel 5

4.2. Verfahren nach ISO 2631-1 und VDI 2057-1

In der Norm ISO 2631-1, [4] wird der RMS Wert aw, siehe Formel 5, für das Interface zwischen Mensch und Sitzoberfläche bestimmt, um den dynamischen Komfort bzw. die Einwirkung auf den menschlichen Körper zu bestimmen.

Ganzkörperschwingungen Bild 12

Das Verfahren nach der ISO 2631-1 berücksichtigt die Kombination von Insasse, Sitz, Fahrzeug und Straßenanregung. Die ermittelte Beschleunigung wird über einen Filter, siehe Bild 12, im Frequenzbereich gewichtet. Dieser wurde anhand der sensorischen Wahrnehmung des Menschen definiert.

Der Verlauf des Filters variiert je nach Anregungsrichtung und Auswertestelle. Wie erkennbar werden Beschleunigungswerte im Bereich von 3 bis 12 Hz höher gewichtet, da hier die menschliche Wahrnehmung von Vibrationen höher als für andere Frequenzbereiche ist.

Entsprechend Formel 5 wird abschließend ein integraler Wert ermittelt und mit einem festgelegten Grenzwert verglichen. Standardmäßig wird diese Methode zur Bewertung von Gesundheitsrisiken eingesetzt, d.h. es wird Risiko von Arbeitsplätzen mit Vibrationseinwirkung als mögliche Ursache für Erkrankungen des muskuloskeletalen Systems bewertet.

Ein ähnlicher Ansatz ist die Berechnung des SEAT Wertes auf Grundlage der Norm VDI 2057-1, [5]. Der Hauptunterschied ist, dass der RMS Wert aw an der Sitzoberfläche durch die auftretende Beschleunigung and er Sitzschiene dividiert wird. Entsprechend stellt der SEAT Wert, wie die Sitzübertragungsfunktion, nur eine Beurteilung des Sitzes dar.

4.3. Dimension of Perception

Diese Methode wurde bei BMW entwickelt, [6], um ein Korrelation zwischen subjektiver Wahrnehmung von Testfahrern und objektiven Messwerten zu definieren. Ursprünglich stammt das Verfahren aus dem Bereich der Psychoakustik, wo die Relation zwischen menschlichem Hören und akustischen Signalen zu definieren ist. Die Dimensions of Perception basieren auf einer ähnlichen Annahme. In einer Probanden Studie wurde der Zusammenhang zwischen allgemeinen Schwingungsphänomenen, siehe Tabelle 1, und subjektiven Bewertungen untersucht.

  • Überblick zu Schwingungsphänomenen in PKWs
    PhänomenFrequenzbereich [Hz]
    Aufbauschwingung1 - 2
    Längsruckeln4 - 10
    Lastwechselschlag8 - 20
    Motorstuckern10 - 13
    Achsschwingung10 - 15
    Bremsrubbeln10 - 20
    Leerlaufschütteln15 - 25
    Lenkradschütteln20 - 30
    Karosserieschütteln20 - 35
    Achsrauhigkeit20 - 35

Im nächsten Schritt wird die Wahrnehmung der Testfahrer für diese Schwingungsphänomene unter Verwendung von Attributen wie Zittern und Hüpfen beschrieben. Schließlich werden die subjektiven Bewertungen verschiedenen Messwerten gegenübergestellt. Wie erwartet wurde die beste Korrelation zwischen subjektiven Bewertungen und gefilterten Beschleunigungs-Signalen gefunden. Nachfolgend sind die Messgrößen mit der besten Übereinstimmung aufgeführt.

  • A1: RMS Beschleunigung auf Sitzoberfläche (3-10 Hz) – Diskomfort durch Insasse auf dem Sitz,
  • A2: – RMQ Beschleunigung auf Sitzoberfläche (1-30 Hz) – Diskomfort durch Stoßanregung,
  • A3 – RMS der Beschleunigung an der Sitzschiene (10-30 Hz) – Diskomfort infolge Strukturverhalten des Sitzes und
  • A4 – RMS der Beschleunigung auf Sitzoberfläche (1-3 Hz) – Diskomfort infolge Aufbauschwingungen Karosserie.
Ganzkörperschwingungen Bild 13

Bild 13

In Bild 13 sind die einzelnen Größen nochmals visuell über den Frequenzbereich einer Sitzübertragungsfunktion dargestellt.

Die Dimension of Perception Methode ermöglicht eine genauere Bewertung des dynamischen Sitzkomforts. Dennoch muss die Definition von gutem oder schlechtem Komfort in der Sitzentwicklung auf der Grundlage von Erfahrungswerten in Kombination mit Zielgrößen für das Fahrzeugdesign erfolgen.

5. Zusammenfassung

Schwingungseinwirkungen auf den Insassen sind eine Herausforderung in der Sitzentwicklung. Dabei ist es entscheidend, den theoretischen Hintergrund des belegten Sitzes bestehend aus Mensch, Bepolsterung und Struktur und deren Interaktion zu kennen. Vereinfachte Untersuchungen ohne Berücksichtigung aller Komponenten können zu falschen Entscheidungen führen.

Dementsprechend ist für die Untersuchung des dynamischen Sitzkomforts die Berücksichtigung des menschlichen Körpers sehr wichtig. Aufgrund seines dynamischen Verhaltens beeinflusst er die Übertragungsfunktion, die gewöhnlich für die Beurteilung verwendet wird, maßgeblich. Anordnungen mit einer starren Masse können dem Ingenieur zusätzliche Informationen liefern, spiegeln jedoch nicht das reale Szenario mit Mensch auf Sitz wieder.

Die letzte Herausforderung ist die Bewertung des dynamischen Sitzkomforts über physikalische Größen sowie die Defintion von Grenzwerten. Ein erster Schritt ist hierbei die von BMW entwickelte Methode Dimensions of Perception. Über sie konnte eine Korrelation zwischen physikalischen Größen und subjektiver Bewertung durch Fahrer gefunden werden.

Referenzen

[1]       ISO 3386-1: “Polymeric materials, cellular flexible -- Determination of stress-strain characteristics in compression -- Part 1: Low-density materials”, (1986).
[2]       Griffin, M.J., “Handbook of Human Vibration,”Elsevier, (1996).
[3]       Siefert, A. et al., “CASIMIR/Automotive: A Software for the virtual Assessment of static and dynamic Seating Comfort,” SAE DHM Conference, Göteborg (2009).
[4]      ISO 2631-1: “Mechanical vibration and shock -- Evaluation of human exposure to whole-body vibration -- Part 1: General requirements”, (1997)
[5]      VDI 2057-1.: „Einfluss der Frequenzbewertung nach VDI 2057-1:2002 auf die Größe der Ganzkörper-Schwingungsbelastung“, VDI, 2002
[6]       Lennert, S.: „Zur Objektivierung von Schwingungskomfort in Personenkraftwagen: Untersuchung der Wahrnehmungs-dimensionen“, VDI Forschungsbericht 689, (2009)