Enorme Effizienzsteigerung in der Windenergie durch KI

Die Rolle der künstlichen Intelligenz (KI) wird künftig stetig zunehmen und viele Aspekte in unserem Leben und in der Art und Weise, wie wir unsere Arbeit erledigen, verändern. Die KI ist als Allgemein-Zweck-Technologie (Eng. General Purpose Technology GPT nicht zu verwechseln mit GPT in ChatGPT) zu betrachten. Diese wird früher oder später, ähnlich wie beispielsweise die Elektrizität, für uns zur Normalität werden.

Eine große Stärke der KI-Anwendungen besteht in der Vorhersage von Verhalten von Menschen und Systemen. Bei der Windenergie spielen die Diagnose und die Prädiktion bzw. die Prognose in der Planung und bei dem wirtschaftlichen Betrieb von großen Projekten eine wesentliche Rolle. Angefangen von der Windparkplanung und der Wirtschaftlichkeitsrechnung, wo das Windpotenzial auf Umrechnung anhand von limitierten Wetterdaten oder CFD-Simulationen bis zur zustandsorientierten Betriebsführung der Windparks, in dem die Diagnose der Performanz von einzelnen Komponenten und Systemen der einzelnen Windenergieanlagen zwecks vorausschauender Wartung (Eng. predictive maintenance), eine wesentliche Rolle spielen. Um diese systematisch zu gestalten, kommen verschiedene Messsysteme mit unterschiedlichen physikalischen Konzepten sowie zeitlichen Auflösungen und verschiedenen Techniken zum Einsatz. Diese lassen sich allgemein wie folgt zusammenfassen:

  • SCADA (Supervisory Control and Data Acquisition) mit einer Schnittstelle zum Anlagenregler. Über das SCADA-System werden die Messdaten von hunderten bis tausenden Sensoren, welche für die Regelung bzw. Steuerung, den Betrieb und Standsicherheit der Windenergieanlage relevant sind, erfasst. 
  • Folgende Daten werden mit einer Auflösung von mindesten 10 Minuten Mittelwerten ggf. einer Sekunde und unter Umständen bis zu 10ms (100 Hz) Auflösung aufgenommen und langfristig gespeichert:
    ​ Wetter und Umweltbedingungen (Windgeschwindigkeit, Windrichtung, Außentemperatur, Wellenhöhe, …)
    ​ Systemparameter (Gondelposition, Pitchwinkel der Rotorblätter, Temperatur des Hauptlagers, des Getriebes oder des Generators, Durchfluss von Öl oder Kühlungswasser, Ströme und Spannung, usw.)
    ​ Netz (Umrichter und Transformatorparameter)
  • Condition Monitoring Systeme (CMS) und Structural Healthy Monitoring (SHM), welche für die Zustandsüberwachung von Systemen vorgesehen sind und in der Regel auf Vibration- und Verlagerungsmessungen basieren. Diese werden zwecks Diagnose von aufkommenden Schäden an Systemkomponenten (Triebstrang) und Strukturen (Rotorblätter, Turm und Fundament) eingesetzt.
  • Lastenüberwachungssysteme für die Messung der Belastungen an den Rotorblättern und/oder an den Triebstrangkomponenten sowie an dem Turm und dem Fundament. Dabei kommen Dehnungsmessstreifen (DMS) und/oder Kombination von Schwingungs- und Verlagerungssensoren zum Einsatz.
  • Inspektionsaufnahme in Form von Berichten, Drohnen-Inspektions-Bildern der Rotorblätter, Endoskopie-Aufnahmen der Hauptlagerung, des Getriebes und ggf. des Generatorlagers.

Nach dem aktuellen Stand der Technik werden diese Systeme mittels statistischer und physikalischer Einsätze individuell und sehr häufig von verschiedenen Abteilungen analysiert. Die Zusammenfassung der Ergebnisse zwecks Entscheidungsfindung und Planung von Wartungseinsätzen wird im Anschluss nach internen Prozessen von einzelnen Personen getroffen. Diese Prozesse bedürfen weiterer Optimierungen und Automatisierungen. Dabei bietet die KI mit den deutlichen Stärken im Bereich Vorhersage und Automatisierung die optimale Lösung hierfür.

In den letzten Jahren sind einzelne KI-Modelle und Lern-Methoden schrittweise, allerdings in begrenztem Rahmen, für die Datenanalyse von Windenergieanlagen eingeführt worden. Diese lassen sich grob wie folgt strukturieren: 

  • Überwachtes Lernen (Eng. Supervised Learning): 
    ​ Klassifikation-Methode für die Bewertung von Inspektionsbildern von Rotorblättern oder Endoskopie-Bildern von Hauptlagern und Getrieben mittels CNN (Convolutional Neural Network)
    ​ Regression-Methode wird in begrenztem Rahmen für Analysen von SCADA und Lastenmessungen sowie Schwingungsdaten eingesetzt.
  • Unüberwachtes Learning (Eng. Unsupervised Learning) hat bisher keine bekannte Anwendung bei der Windenergie. Allerdings lässt sich diese sehr gut adaptieren, um Muster mittels automatischer Segmentierung (Eng. Clustering) über den gesamten Windpark, ggf. bei bestimmten Anlagentypen, über eine Vielzahl von Windparks einzusetzen. 
  • Bestärkendes Lernen oder verstärkendes Lernen (Eng. Reinforcement Learning) lässt sich für Aufgaben im Betriebsführungsbereich, beispielsweise für Regelung der Netzeinspeisung und parallele Wasserstofferzeugung mittels Elektrolyseure implementieren. Bisher ist dies noch nicht der Fall.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass es bereits vielversprechende KI-Anwendungen im Bereich des überwachten Lernens in der Windenergie gibt. Für die Bereiche unüberwachtes und verstärkendes Lernen, fehlen aber noch konkrete Anwendungen, obwohl der Bedarf eindeutig vorhanden ist. Das bedeutet, wir stehen erst am Anfang einer neuen Entwicklung mit gewaltigen Möglichkeiten für die Windenergie. Hier liegt viel Potenzial die Effizienz zu steigern und die Kosten zu reduzieren. Zukünftig lassen sich unterschiedliche Daten aus den individuellen Messsystemen der Windenergieanlagen ggf. neuer Generationen von Sensoren und Messsystemen mittels multimodaler KI-Modelle (Eng. Multiple Models) parallel betrachten. Dadurch kann die Wissensschöpfung aus den Daten deutlich gesteigert werden, um die Betriebskosten von dem Windpark (OPEX: Operational Expenditures) zu optimieren und die gewonnen Informationen aus dem Feld in den Entwicklungsprozess der Anlage zurückzuspielen. Somit lässt sich die Entwicklung und die Herstellung beschleunigen und die Kosten für die Projektaufstellung (CAPEX: Capital Expenses) ebenfalls reduzieren. Dadurch können die Stromgestehungskosten (Eng. Levelized Cost of Electricity, LCOE) der Windenergie weiter gesenkt und die Attraktivität gegenüber konventionellen Energiequellen noch weiter gesteigert werden (Abbildung 1).

Copyright: Dr. Samer Mtauweg

Abbildung : Struktur zur Einführung der KI in die umfangreiche Datenanalyse von Windenergieanlagen.

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Über den Autor

Dr. Samer Mtauweg hat Maschinenbau studiert und über Windenergie an der TU Dresden promoviert. Danach arbeitete er bei einem der führenden Hersteller für Offshore-Windenergieanlagen (AREVA-Wind). Zuletzt war er dort als Teamleiter für die Entwicklung des Antriebsstrangs der 8MW Offshore-Plattform verantwortlich. 2015 wechselte Dr. Mtauweg zum Windenergieanlagenhersteller Enercon und war dort als Key Expert für die technischen Neu- und Weiterentwicklungen verantwortlich. 2017 wurde er Gesellschafter/Geschäftsführer der MML-Solutions GmbH. Dr. Mtauweg ist Spezialist für technische Lösungen zur Kostenoptimierung und Ertragssteigerung von Windenergieanlagen. Er entwickelt eigene Smart Diagnose Systeme und digitale Plattformen für die gesamtheitliche Betrachtungen von Windparks.