Windenergie-Technologie

Die grundlegende Entwicklung der Windturbinen war durch die Betz´sche Strömungstheorie (1920) und die bahnbrechenden technologischen Entwicklungen von Prof. Hütter in den 1940er, 1950er und 1960er Jahren geprägt. Blatteinstellwinkel- oder pitch-geregelte Anlagen erst mit Blech-, dann mit GFK-Rotorblättern zur Elektrizitätsversorgung im Netz- und Inselbetrieb überdauerten Jahrzehnte.

In den 1960er und 1970er Jahren setzten niederländische und dänische Entwickler*innen und Hersteller auf einfachere Ausführungen mit feststehenden Rotorblattwinkeln und Leistungsbegrenzung durch Stallbetrieb (Strömungsabriss). Als Generatoren wurden einfache, robuste Asynchronmaschinen mit direkter Netzkopplung verwendet, die stets schwingungsdämpfende Eigenschaften haben. Diese „dänische“ Konzeption dominierte die stürmische Windenergieanlagen-Entwicklung und den Markt bis Ende der 1990er Jahre. In dieser Zeit wurde Dänemark zum Weltmarktführer in der Windenergie. Ausgehend von den großen Exporterfolgen im kalifornischen Windenergieboom wurden auch europäische und andere Märkte erobert.

Mit Überschreiten der Megawatt-Grenze war das sog. Dänische Konzept auf Grund der hohen dynamischen Lasten im Triebstrang und der großen Rotorblattmassen nicht mehr tragfähig. Die Anlagen mussten um blatteinstellwinkelgeregelte Leistungseinstellung und drehzahlvariablen Triebstrangbetrieb erweitert werden, um die hohen Belastungen in diesen großen Systemen zu beherrschen. Auf Grund der bereits früher eingeleiteten Entwicklungen und technischen Innovationen wurde Deutschland um die Jahrtausendwende Weltmarktführer in der Windanlagenproduktion und auch das Land mit der höchsten installierten Leistung. Dieser Erfolg basierte einerseits auf den langfristig garantierten Einspeisetarifen nach dem „Stromeinspeisegesetz“ der 1990er Jahre, das danach vom „Erneuerbaren Energiegesetz“ abgelöst wurde und andererseits auf dem „Wissenschaftlichen Mess- und Evaluierungs-Programm 250 MW Wind“. Dieses Begleitprogramm mit jährlicher Veröffentlichung der Betriebsstatistiken von Anlagen und Herstellern führte dazu, dass die Verfügbarkeit der Anlagen stetig erhöht wurde und zum Jahrtausendende bis zu 99 Prozent erreichte.

Natürlich wurde Deutschland von den flächenmäßig viel größeren Staaten USA und China mit weitaus größerer Bevölkerung überholt. Mit einer installierten Leistung von ca. 200kW/km² hat Deutschland jedoch die weltweit größte Windenergie-Installationsdichte.

Die Windkraftanlagen-Entwicklung nach Abb.1 war geprägt von einer Leistungsverdoppelung alle zwei Jahre bis etwa 2002, als die 5 MW-Klasse erreicht wurde. Die Entwicklung war stets auf neuste Technologien, Werkstoffe und Bauelemente ausgerichtet. So konnte sich die Windindustrie von einer Anwendungs- und Übertragungstechnik aus anderen verwandten Technologiebereichen in den den1980er Jahren zu einer Leitindustrie in den 1990er Jahren in der Aerodynamik und Rotorblattherstellung, der Generator-, Umrichter-, Regelungstechnik etc. entwickeln, die sich bis heute fortgesetzt hat.

Nach Einführung der 5 MW-Klasse Ende 2002 wurden weit vor 2010 die 10 MW erwartet. Auf Grund begrenzter Standort- und Netzkapazitäten wurde jedoch das Augenmerk auf hocheffiziente Turbinen der 3 bis 6 MW klasse gerichtet mit 110 bis 150m bzw. heute mit 130 bis 180m Rotordurchmesser mit vielfach über 150m hohen Türmen. Das hat dazu geführt, dass die Auslastung der Netzanschlüsse erhöht bzw. die Volllaststunden der Windenergieeinspeisung mehr als verdoppelt werden konnte und Standorte, die bisher nicht berücksichtigt wurden, nun zum Einsatz kommen können.
Erste 15 bis 20 MW-Anlagen mit 220 bis 250m Rotordurchmesser sind bereits in der Entwicklung und z. T. in Betrieb. Ihr großtechnischer Einsatz bringt neue Herausforderungen hinsichtlich Fertigung, Transport und Installation mit gigantischen Kränen etc. mit sich. In dieser Multi-Megawattklasse sind nur noch wenige namhafte, große Hersteller (Siemens Gamesa, Vestas, General Electric, Ming Yang, Goldwind) aktiv. Dies liegt insbesondere an den gigantischen Entwicklungskosten dieser Einheiten. Diese lassen sich z.B. durch Multi-Generatorkonzepte mit mehrfach verwendeten Maschinen-, Umrichter, Schalt- und Kühlsystemen wesentlich niedriger gestalten. Weitere Perspektiven werden sich durch magnetisch gelagerte bzw. luftspaltgeregelte und supraleitende Generatoren ergeben.

In nächster Zeit werden die Anlagen bis 6 MW und etwa 170m Rotordurchmesser den Markt beherrschen. Allerdings werden Fragen verfügbarer Netz-Übertragungskapazitäten, der Netzverträglichkeit und der Netzstabilität zunehmend in den Vordergrund treten.

Momentan wird bei der Elektrizitätsversorgung in Deutschland mehr als 50 Prozent von regenerativen Energiesystemen abgedeckt. Wobei gut verfügbare, aber nicht weiter ausbaubare Wasserkraft- und Biogasanlagen nur etwa je 5 Prozent ausmachen. Gemeinsam mit der Photovoltaik kommen sie auf weniger als die Hälfte. Die tragende Säule bildet die Windenergie. Ihre installierte Leistung hat in Deutschland etwa die maximale Verbraucherleistung erreicht und die Photovoltaik, mit wesentlich geringeren Energiebeiträgen, übersteigt diesen Wert bereits. Das bedeutet, dass weiter steigender Wind- und Photovoltaik-Zubau zu immer größeren Abschaltzeiträumen führen wird, falls Energieüberschüsse nicht mittel- und langfristig gespeichert werden können. Als Speichersysteme kommen bisher vorwiegend Pumpspeicher, die allerdings nur etwa eine halbe Stunde den Strombedarf abdecken können, und elektrochemische Speicher (Batterien) sowie Druckluft- und Gasturbinen-Speicher. Umweltneutrale, ausbaubare Energiebereitstellung bieten Wasserstoff-Turbinen mit Wasserstoffspeichern (möglichst mit geschlossenem Kreislauf). Mit der stetig steigenden Elektrifizierung im Verkehr werden sich gigantische Batterie-Speicherpotentiale ergeben, falls rechtliche und tarifliche Fragen geklärt sind, die z.B. einen Fahrzeug- bzw. Photovoltaik-Batteriezugriff ermöglichen. Virtuell gebildete Kraftwerkseinheiten aus einem Zusammenschluss eines Teils oder all dieser Systeme in Verbindung mit Wind und Photovoltaik-Prognosen eröffnen für die Regel- und Reserveleistungs-Bereitstellung im Netz und damit in seiner Stabilisierung neue Perspektiven.

Mit der zunehmenden Abschaltung der konventionellen Kraftwerke verliert das Netz seine inhärente Stabilität hinsichtlich der frequenzstabilisierenden sog. Spinningreserve sowie lang und mittelfristiger Leistungsausgleiche, aber auch bezüglich der kurzfristig verfügbaren transienten und subtransienten Kurzschlussleistung. Regelungstechnische Maßnahmen können hier Abhilfe schaffen. Zusätzlich aufgebaute Gas- bzw. Wasserstoff-Turbinen können mit ihrer Schwungmasse und Puls- sowie Kurzschlussströmen wesentlich zur Netzstabilisierung beitragen.

Momentan drängen chinesische Hersteller von Windkraftanlagen auf den internationalen Markt, die bei halben oder niedrigeren Marktpreisen liegen und eine Finanzierung mitbringen. Nachdem besonders amerikanische, chinesische und indische Hersteller über Jahre hinweg deutsche Technologie übernommen haben, ist zu befürchten, dass ähnlich wie in der Photovoltaik, auch die Windenergiefabrikation in Deutschland verloren geht.

Zusammenfassend bleibt festzustellen, dass neben dem begleitenden Forschungs- und Entwicklungsbedarf dringend ausbautechnische und politische Maßnahmen geplant und ergriffen werden müssen, um einerseits eine Netzstabilisierung zu garantieren und andererseits der Windenergiestandort Deutschland mit Anlagen-Herstellung und -Export erhalten bleibt.

Abb. 1

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Über den Autor:

Prof. Dr.-Ing. Siegfried Heier vertrat bis Ende 2011 die Windkrafttechnik an der Universität Kassel in Lehre und Forschung. Er beschäftigt sich seit 45 Jahren mit der Windenergie, hat eine Vielzahl nationaler und internationaler Forschungsvorhaben initiiert und mehr als 100 Fachaufsätze sowie 17 Fachbücher über Generatorsysteme, Regelung und Netzintegration von Windkraftanlagen publiziert.