Christian Schmidt ist Speaker bei der Dritev und Projektleiter bei der AVL List GmbH in Graz. Dort verantwortet er die Entwicklung innovativer elektrischer Antriebskonzepte mit Fokus auf Effizienz und Serienreife.
Wird die E-Achse zum Effizienzwunder?
Neue Antriebskonzepte ermöglichen Wirkungsgrade von deutlich über 90 Prozent
Energieeffizienz, Reichweite, Kosteneffizienz: In diesem Spannungsfeld bewegen sich Entwicklungsprojekte im Bereich der Elektromobilität stets. Ein besonderer Fokus liegt in diesem Zusammenhang auf Konzepten im Bereich elektrischer Antriebsachsen. Kennziffern wie Wirkungsgrade deutlich über 90 Prozent und Verbräuche unter 10 Kilowattstunden pro 100 Kilometer lassen aufhorchen. Auf dem VDI-Kongress DRITEV 2025 am 9. und 10. Juli 2025 in Baden-Baden wird Projektleiter Dipl.-Ing. Christian Schmidt, AVL List, über ein aktuelles Entwicklungsprojekt referieren. Im Interview beschreibt er, wie aus einer internen Vorentwicklung ein kundenindividuelles Serienprodukt wurde und welche Potenziale die Technologie bietet.
Herr Schmidt, die neu entwickelte elektrische Antriebsachse beeindruckt mit einem Wirkungsgrad von bis zu 94 Prozent gemäß CLTC-Zyklus. War dieses Projekt von Anfang an für eine Serienfertigung gedacht?
Christian Schmidt: F&E-Projekte dienen bei AVL zunächst oft dazu, technologische Möglichkeiten aufzuzeigen und die Kundenakquisition zu unterstützen. Unser Ziel war es jedoch stets, das Konzept oder zumindest Teilaspekte davon in die Serie zu bringen. Ursprünglich wollten wir vor allem demonstrieren, was technisch machbar ist – doch schnell zeigte sich, dass wir eine sehr praxisnahe Lösung entwickelt hatten, die Interesse auf Seiten der OEMs fand. Bei der aktuellen Konfiguration der E-Achse für einen asiatischen Hersteller ist das technische Grundkonzept tatsächlich fast unverändert ins Kundenprojekt übernommen worden.
Wann hat der Entwicklungsprozess begonnen, und wie sieht der weitere zeitliche Fahrplan aus?
Christian Schmidt: Das interne Projekt startete im August 2023, das Kundenprojekt etwa eineinhalb Jahre später. Aktuell befindet sich das Projekt in der Bestätigungsphase zur Serienfertigung, ein möglicher Serienstart ist für 2027 realistisch. In der aktuellen Phase werden umfangreiche Fahrzeugtests durchgeführt, um die Serienreife zu bestätigen und finale Anpassungen vorzunehmen.
Welche konkreten Merkmale haben es letztendlich in die Serienumsetzung geschafft?
Christian Schmidt: Das strukturelle Konzept der Achse wurde weitgehend übernommen. Wir mussten die Spannungsebene für die E-Maschinen leicht an das Kundenfahrzeug anpassen, sie liegt etwas unter 800 Volt. Außerdem wurden die E-Maschinen individuell optimiert, inklusive der Übersetzungen. Beibehalten wurde die grundlegende Wicklungstechnologie mit Hairpin-Design. Allerdings sind die gedruckten Wicklungen aus der Vorentwicklung nun herkömmlichen Fertigungstechnologien gewichen. Auch die Steuerungsstrategie, bei der eine zweite E-Maschine nur bedarfsgerecht zugeschaltet wird, fand Eingang in die Serienentwicklung.
Welche Gründe haben den Hersteller letzthin davon überzeugt, auf diese Lösung zu setzen?
Christian Schmidt: Ein entscheidendes Argument war der außergewöhnliche Wirkungsgrad von 94 Prozent gemäß CLTC-Zyklus, der auch vertraglich fixiert wurde. Ziel des Kunden war es zudem, den Energieverbrauch unter 10 Kilowattstunden auf 100 Kilometer zu halten, was mit diesem Antriebskonzept erreicht wird. Außerdem hat unser Ansatz der bedarfsgerechten Zuschaltung einer zweiten Maschine überzeugt, da hierdurch Verluste minimiert und Effizienzspitzen erzielt werden können.
Wie konnten Sie diese beeindruckenden Werte erreichen?
Christian Schmidt: Wir haben in der Vorentwicklung Tausende Varianten automatisiert berechnet und somit die optimale Kombination aus E-Maschine, Übersetzung und Betriebsstrategie ausgewählt. Zentral war auch die Möglichkeit, eine zweite E-Maschine nur bei Bedarf zuzuschalten, um Verluste zu minimieren. Das Konzept reduziert insgesamt Lager- und Getriebeverluste erheblich. Zudem haben wir detaillierte Optimierungen an der Topologie der E-Maschinen vorgenommen, um die elektrische Effizienz weiter zu steigern. Diese Kombination aus technischen Innovationen und Optimierung führte letztendlich zu diesen herausragenden Ergebnissen.
Welche Fahrzeugsegmente profitieren besonders von Ihrer Technologie?
Christian Schmidt: Besonders geeignet ist die E-Achse für Fahrzeuge im C- und D-Segment, aber auch, wenn hohe Leistungen kurzzeitig gefragt sind. Vielfältige Vorteile ergeben sich beispielsweise im SUV-Segment und im Offroad-Betrieb, da hier Mehrleistung oft in bestimmten Fahrsituationen benötigt wird, während man die meiste Zeit mit geringerer Leistung unterwegs ist. Unsere Technologie erlaubt es, beide Situationen effizient abzudecken.
Wie sieht es mit den Produktionskosten und dem Aspekt der Nachhaltigkeit aus?
Christian Schmidt: Die zugegebenermaßen höheren Materialkosten der E-Achse können durch Optimierungen an anderer Stelle, beispielsweise bei der Batteriegröße und somit auch bei deren Kosten, ausgeglichen werden. Zudem reduziert sich durch den geringeren Energieverbrauch ebenfalls das Fahrzeuggewicht. Die kleinere Batterie führt zusätzlich zu einem geringeren CO2-Fußabdruck während der Produktion. Nachhaltigkeit erreichen wir auch durch den bewussten Einsatz von Materialien, die sich sehr gut recyceln lassen.
Wie bewerten Sie das Marktpotenzial von E-Achsen generell?
Christian Schmidt: Die E-Achse hat das Potenzial, sich in verschiedenen Fahrzeugklassen zu etablieren, insbesondere durch die Kombination aus Effizienzsteigerung und Kosteneinsparungen. Der Markt entwickelt sich rasch, besonders in Asien sehen wir großes Interesse. Langfristig gehen wir davon aus, dass die Verkaufszahlen für Elektrofahrzeuge weiterhin steigen und die Fahrzeuge mit hochintegrierten, kompakten Antriebseinheiten ausgestattet sein werden.
In welchen Feldern erwarten Sie die nächsten großen technologischen Sprünge?
Christian Schmidt: Neben Verbesserungen bei Wicklungstechnologien und höheren Drehzahlen sehe ich vor allem bei integrierten Lösungen großes Potenzial, beispielsweise durch optimierte Kühl- und Thermomanagement-Konzepte. Auch der Bereich der additiven Fertigung, insbesondere im Wicklungsdesign, könnte zukünftig eine große Rolle spielen. Hier arbeiten wir kontinuierlich daran, neue Herstellungsverfahren zu erproben und zu optimieren.

Quelle: AVL List