Mehrkörpersimulation von Wälzlagern in nachgiebigen Lagerumgebungen

Bildquelle: Lehrstuhl für Konstruktionslehre und CAD

Finite Elemente (FE-)basierte Modellierung der Lagerumgebung für die elastische Mehrkörpersimulation (MKS) von Wälzlagern

Eine sichere Lastübertragung durch Wälzlager ist nur bei ausreichender Unterstützung durch die Lagerumgebung gewährleistet, sodass in vielen Anwendungen die Anschlusskonstruktion konventionell möglichst steif gestaltet wird. Für einige Anwendungen lässt sich allerdings diese Forderung nach steifen Umgebungen nicht umsetzen. Beispielsweise werden Planetenradlager funktionsbedingt nur durch den Planetenträger und die Zahneingriffe des Planetenrads zum Hohl- und Sonnenrad gestützt. Weiterhin führen Leichtbaumaßnahmen allgemein zu nachgiebigeren Lagerumgebungen, sodass die Steifigkeit der Anschlusskonstruktion das Lagerverhalten wesentlich beeinflussen kann. Der Lehrstuhl für Konstruktionslehre und CAD der Universität Bayreuth hat daher zusammen mit Firma Schaeffler Technologies AG & Co. KG eine Methode für die recheneffiziente Integration der elastischen Lagerumgebung in die unternehmenseigene Mehrkörpersimulationssoftware Caba3D entwickelt.
 

Methode für die Integration der elastischen Lagerumgebung

Die Methode basiert auf der Reduktion eines Finite Elemente (FE) Modells der Lagerumgebung durch einen erweiterten Fourier-Polynom-Verschiebungsansatz. Dabei umfasst die Lagerumgebung die Anschlusskonstruktion (Gehäuse, Radkörper, Welle etc.) des Lagers und dessen Lagerringe. In Anlehnung an [1] werden die lokalen Statikmoden des Reduktionsverfahrens nach Craig und Bampton [2] so modifiziert, dass die Verformung der Kontaktflächen kontinuierlich durch einen globalen Verschiebungsansatz beschrieben wird. Da die Verformung nicht mehr diskret über die Verschiebungen der FE-Knoten abgebildet wird, werden diskretisierungsbedingte Schwankungen durch das FE-Netz im Kontaktverlauf zuverlässig vermieden.

Während der Mehrkörpersimulation werden die zeitabhängigen, globalen Verschiebungsmoden des reduzierten FE-Modells mit den unverformten Kontaktflächen zu den verformten Kontaktflächen superponiert. Anschließend wird auf Basis des in der Wälzlagersimulation gebräuchlichen Scheibenmodells [3] der Kontakt zwischen den als starr modellierten Wälzkörpern und den verformten Lagerringen gesucht. Grundlage hierfür ist die Lösung eines restringierten Optimierungsproblems für den Laufbahnkontakt und die Lösung eines nichtlinearen Gleichungssystems für den Bordkontakt.

Verifikation der Methode

Die entwickelte Methode ist für alle Wälzlagerarten anwendbar, d. h. für Radial- und Axiallager sowie Kugel- und Rollenlager mit und ohne Bordkontakt. Für zahlreiche Lager wurde die Methode gegen analytische Lösungen (Harris und Kotzalas [4]), Vergleichsrechnungen mit verifizierten Programmen (Bearinx und Abaqus) und experimentelle Daten [5] umfangreich verifiziert. In Bild 1 ist die Verifikation der Methode am Beispiel des Rillenkugellagers 6209 dargestellt. Der Abgleich der radialen Ringaufweitung beim Einzelkontakt und der Lastverteilung im gesamten Lager belegen, dass die Verformung der Lagerumgebung richtig wiedergegeben wird. Die zusätzliche Evaluation der Wälzkörperdrehzahl bestätigt, dass die Wälzkörper stetig über die verformte Laufbahn abrollt.

Bild 1: Verifikation der Methode am Beispiel des Rillenkugellagers 6209. Oben: Einzelkontakt. Unten: Komplettlager.

Bild 2: Auswertung der Rechenzeit am Beispiel des Rillenkugellagers 6209.

Auswertung der Rechenzeit

Für die praktische Anwendung der Methode ist neben der Ergebnisgüte auch die Rechenzeit von entscheidender Bedeutung. Bild 2 zeigt die relative Rechenzeit und den relativen Fehler in der Lastverteilung am Beispiel des rein radial belasteten Rillenkugellagers 6209. Die relative Rechenzeit ist definiert als die Rechenzeit bei elastischer Modellierung der Lagerumgebung relativ zur Rechenzeit bei starrer Modellierung. Der relative Fehler bezieht sich auf die Abweichungen in der Lastverteilung zwischen den Caba3D-Ergebnissen und der Bearinx-Referenzlösung. Mit höherem Ansatz für N (methodenspezifischer Reduktionsparameter) konvergieren die Ergebnisse von Caba3D gegen die mit Bearinx berechnete Lastverteilung. Ab N=3 bleibt die Lastverteilung nahezu unverändert, sodass sich die Ergebnisgüte nicht wesentlich verbessert, sondern nur die relative Rechenzeit steigt. Die Rechnung mit N=3 dauert ungefähr 4,5 mal länger als die Rechnung mit starrer Lagerumgebung. Angesichts der höheren Modellgüte ist der überschaubare Mehraufwand vertretbar.
 

Bild 3: Axial-Nadellager mit gewölbten Lagerscheiben (links) und Auswertung der Pressungsverteilung (rechts).

Elastische Modellierung der gewölbten Lagerscheiben von Axial-Nadellagern

Das untersuchte Axial-Nadellager ist durch dünnwandige Lagerscheiben mit in Richtung der Nadeln gewölbten Laufbahnen gekennzeichnet (siehe Bild 3, links). Mit zunehmender Axialkraft werden die Scheiben bei elastischer Modellierung flach gedrückt, während bei starrer Modellierung die Wölbung der Scheiben bestehen bleibt. Dies führt zu qualitativ und quantitativ unterschiedlichen Pressungsverteilungen (siehe Bild 3, rechts), was die Notwendigkeit und den Mehrwert der elastischen Modellierung verdeutlicht. Bei starrer Modellierung würde die Kontaktpressung deutlich überschätzt und die Lebensdauer unterschätzt werden.

Bild 4: Verformung des Planetenrads (links) und Durchbiegung des Planetenbolzens mit dem methodenspezifischen Reduktionsparameter M (rechts).

Elastische Modellierung der Lagerumgebung von Planetenradlagern

Die (dünnwandigen) Planetenräder eines Planetengetriebes ovalisieren sich unter dem Einfluss der Zahnkontaktkräfte und der radial gerichteten Fliehkräfte (siehe Bild 4, links). Zusätzlich können sich die Bolzen des Planetenträgers durchbiegen, wobei sich die Verformung der Planetenträgerwangen mit der Durchbiegung der Bolzen überlagert (siehe Bild 4, rechts). Mithilfe von Caba3D wurde der Einfluss der Umgebungssteifigkeit auf die innere Lagerdynamik detailliert untersucht. Unter anderem führt die Verformung des Planetenrads zu breiteren Lastzonen, da sich das Planetenrad an die beiden Wälzkörperreihen anschmiegt. Weiterhin verursacht die asymmetrische Durchbiegung des Bolzens, bedingt durch Steifigkeitsunterschiede zwischen den Planetenträgerwangen, eine Schiefstellung des Planetenrads und der Wälzkörper, wodurch letztere nicht mehr ideal abrollen.

Fazit

Das Ziel der umfangreichen Erweiterungen von Caba3D war es, die elastische Umgebung der Wälzlager zuverlässig und möglichst recheneffizient in die Mehrkörpersimulation zu integrieren. Die entwickelte und verifizierte Methode ist für alle Wälzlagerarten anwendbar, d. h. für Radial- und Axiallager sowie Kugel- und Rollenlager mit und ohne Bordkontakt. Durch die durchgeführten Arbeiten konnte die Leistungsfähigkeit von Caba3D noch einmal deutlich erhöht werden, wodurch auch anspruchsvollste Wälzlagerungen mit nachgiebigen Anschlusskonstruktionen präzise simuliert werden können. Dadurch können bestehende Anwendungen optimiert sowie neue Anwendungen technisch-wirtschaftlich noch besser erschlossen werden.

Zu den Autoren:

Tobias Baumann, M.Sc.: Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Lehrstuhl für Konstruktionslehre und CAD, Fakultät für Ingenieurwissenschaften, Universität Bayreuth, Universitätsstraße 30, 95447 Bayreuth

Bodo Hahn, Dipl.-Ing. (FH): Expert Analysis Tool & Method Development, R&D Analysis Tools Operations, Schaeffler Technologies AG & Co. KG, Industriestraße 1-3, 91074 Herzogenaurach

Prof. Dr.-Ing. Stephan Tremmel: Lehrstuhlinhaber, Lehrstuhl für Konstruktionslehre und CAD, Fakultät für Ingenieurwissenschaften, Universität Bayreuth, Universitätsstraße 30, 95447 Bayreuth

Quellen

[1] Wensing, J. A.: On the dynamics of ball bearings. Twente, Universität Twente. Dissertation. 1998
[2] Craig, R.; Bampton, M.: Coupling of substructures for dynamic analyses. In: AIAA Journal 6 (1968), Nr. 7, S. 1313–1319
[3] Vesselinov, V.: Dreidimensionale Simulation der Dynamik von Wälzlagern. Karlsruhe, Universität Karlsruhe. Dissertation. 2003
[4] Harris, T.; Kotzalas, M.: Advanced Concepts of Bearing Technology. 5. Aufl. Boca Raton : CRC Press, 2007
[5] Dimov, G.; Zander, M. ; Fingerle, A.: Mehrreihige Planetenlager : Berechnung und Messung der Belastungsverteilung von Planetenwälzlagern. Abschlussbericht Forschungsvorhaben Nr. 796 I, Heft 1457. Frankfurt am Main : Forschungsvereinigung Antriebstechnik e.V., 2021