Ursachen, Auswirkungen und Lösungen für gestörte Bauabläufe

Bauablaufstörungen sowie die daraus resultierenden Bauzeitverzögerungen sind vielfältig und haben erheblichen Einfluss auf die Wirtschaftlichkeit von Baumaßnahmen. Gleichwohl werden den Auftragnehmern hohe rechtliche Hürden zu Anspruchsdarlegung und -durchsetzung auferlegt. Die Ursachen, Anspruchsbewertung sowie die terminlichen und monetären Auswirkungen von Bauablaufstörungen sind den Vertragsbeteiligten allerdings häufig nicht klar. Dieses Wissen ist jedoch entscheidend, um Ansprüche aus Leistungsmodifikationen, Behinderungen und sonstigen Störungen des Bauablaufs durchsetzen oder erfolgreich abwehren zu können. Mit der Beachtung baurechtlicher Grundlagen und baubetrieblicher Voraussetzungen ist es selbst mit reduzierten personellen und wirtschaftlichen Mitteln möglich, Auswirkungen von Bauablaufstörungen zu minimieren und somit Bauprojekte erfolgreicher abzuwickeln.
 

Die Identifikation von Störungsursachen und Verantwortungsbereiche als essenzielle Voraussetzung

Ausgangspunkt des Vertrags- und Nachtragsmanagements ist, die vielfältigen Ursachen gestörter Bauabläufe zu einem frühestmöglichen Zeitpunkt zu antizipieren und einer Verantwortungssphäre der am Bauprojekt Beteiligten zuzuordnen. In welchen Verantwortungsbereich eine Störung fällt, hängt i. d. R. von den in den Vertragsunterlagen beschriebenen vertraglichen Leistungspflichten der Vertragsparteien ab. Mit der Gestellung und Annahme sämtlicher Vertragsunterlagen fängt für alle Vertragsparteien die Analyse eines gestörten Bauablaufs an. Häufig ist festzustellen, dass diese vertraglichen Leistungspflichten den einzelnen Akteuren am Baumarkt nicht vollumfänglich bekannt sind, unvollständig sind oder Spielraum für Interpretationsmöglichkeiten geben.
 

Das „Denken in Anspruchsgrundlagen“ als „Alles-oder-Nichts-Kriterium“

Das Wissen um das vertraglich geschuldete Leistungssoll ist allerdings nicht nur essentiell dafür, Störungseinflüsse einer Verantwortungssphäre, sondern auch einer korrekten Anspruchsgrundlage zuzuordnen. Hierbei ist im Allgemeinen zwischen Vergütungs-, Entschädigungs- und Schadensersatzansprüchen zu unterscheiden: Zu Vergütungsansprüchen zählen vertragskonforme Leistungsmodifikationen wie bspw. zufällige Mengenänderungen, die Herausnahme von Leistungen sowie geänderte und zusätzlich erforderliche Leistungen. Entschädigungsansprüche resultieren aus einem Annahmeverzug aufgrund einer mangelhaften bzw. unzureichenden Mitwirkungspflicht des Auftraggebers, wobei sich der geschuldete Leistungs- bzw. Bauinhalt nicht ändert. Die dritte Gruppe sind Schadensersatzansprüche, die aus einer schuldhaften Pflichtverletzung einer Vertragspartei resultieren. Die Differenzierung von Störungsereignissen sowie das „Denken in Anspruchsgrundlagen“ sind elementare Voraussetzungen, um Ansprüche aus einem gestörten Bauablauf durchsetzen oder abwehren zu können. Spätestens bei Anbahnung einer gerichtlichen Auseinandersetzung ist das Wissen um die mit den jeweiligen Anspruchsgrundlagen einhergehenden Anspruchsaufbereitungen ein „Alles-oder-Nichts-Kriterium“.
 

Anforderungen der Anspruchsaufbereitung sowie der Anspruchsbewertung werden durch die fortlaufende und sich immer wieder anpassende Rechtsprechung definiert.

Die Anforderungen der Anspruchsaufbereitung sowie die Bewertung der jeweiligen Anspruchsgrundlagen ändert sich fortlaufend, was Urteile der oberen und höchstrichterlichen Rechtsprechung bspw. nicht nur mit der Beurteilung von Entschädigungs- und Schadensersatzansprüchen (insbesondere das Thema der Vertragsstrafe), sondern auch hinsichtlich der Bewertung von Vergütungsansprüchen auf Basis der Fortschreibung der Vertragskalkulation sowie der Bewertung nach tatsächlich erforderlichen Kosten gem. § 650 b und c BGB jüngst gezeigt haben. Die Praxis lehrt, dass häufig Anspruchsgrundlagen „vermischt“ werden und über die Art der Anspruchsaufbereitung ein unqualifiziertes Halbwissen vorliegt. Das regelmäßige Studium von aktuellen Rechtsprechungen und Kommentaren zur Urteilsfindung beugt einem bösen Erwachen in Streitigkeiten vor, die im Zweifel von Dritten entschieden werden müssen.
 

Die Hürden der Rechtsprechung zur Dokumentation eines gestörten Bauablaufs

Meilensteine der Anspruchsaufbereitung oder -abwehr werden dabei bereits zu sehr frühen Zeitpunkten im Bauablauf gesetzt. Insbesondere Auftragnehmer unterliegen hier mit der vielfach zitierten, konkreten und bauablaufbezogenen Darstellung von Störungen des Bauablaufs enormen Dokumentationshürden, die es zu nehmen gilt. Wesentliche Aspekte sind hierbei beispielsweise die Prüf- und Hinweispflicht, die Pflicht zur Schadensminderung oder die Dokumentation von Leistungsbereitschaft und Leistungsfähigkeit. Die Anforderungen an die Dokumentation eines gestörten Bauablaufs sind vielfältig. Exemplarisch kann auf die Tauglichkeit einer Behinderungsanzeige, den Zeitpunkt einer Behinderungsan- oder -abmeldung bzw. die Offenkundigkeit von Behinderungsereignissen verwiesen werden. Auch Auftraggeber sind hierbei nicht gänzlich frei von Ihrer Dokumentationsverantwortung, stehen sie doch teilweise detaillierten Anspruchsaufbereitungen der Auftragnehmer gegenüber, auf die es zu erwidern gilt.
 

Weniger ist oft mehr: Qualität vor Quantität

Die Möglichkeiten der Dokumentation eines gestörten Bauablaufs sind vielfältig und kennen (zumindest theoretisch) keine Grenzen, wenngleich wesentliche Dokumentationen mit wenigen, ausgewählten Dokumentationsmitteln getätigt werden können. Allen voran sind exemplarisch die bautagesbezogenen Auswertungen des Auftragnehmers bzw. der Bauüberwachung des Auftraggebers (im Fachjargon als Bautagesberichte bezeichnet) zu nennen: Der überwiegende Anteil der in der baubetrieblichen Praxis geführten Bautagesberichte sind nicht dafür geeignet, Ansprüche aus gestörten Bauabläufen abzuleiten bzw. abzuwehren. Mögliche Gründe hierfür sind ein Mangel an personellen oder monetären Ressourcen, Unwissenheit und / oder die Angst einer fehlenden Anerkenntnis der anderen Vertragspartei, sofern hier (ggf. zu Recht) verfängliche Kommentare oder Feststellungen vermerkt sind.
 

„Wer sich um Nichts kümmert, braucht sich um Nichts zu wundern.“

Die Dokumentation des gestörten Bauablaufs ist eine essenzielle Voraussetzung für eine rechtssichere Vorgehensweise zur terminlichen und monetären Bewertung von gestörten Bauabläufen. Hier lohnt es sich in jedem Fall für jede Vertragspartei, „ihre“ Hausaufgaben zu machen und die Dokumentation des gestörten Bauablaufs auf ein vernünftiges Fundament zu stellen. Getreu dem Motto „Wer sich um Nichts kümmert, braucht sich um Nichts zu wundern“ zahlt sich das hierfür (zunächst nutzlos erscheinende) investierte Geld vielfach wieder aus.

Es ist einfaches und kostengünstiges, frisches Wissen zu konservieren, als ggf. Jahre später „post-mortem“ in der Funktion eines Trüffelschweines eine Sachverhaltsaufklärung mit Beteiligten zu betreiben, die aus unterschiedlichen Gründen keine Auskunft mehr geben können.
 

Schlussplädoyer

So lange gebaut wird, wird es immer gestörte Bauabläufe geben. Die Idee, dass die ausgeschriebene Bauleistung auch der ausgeführten Bauleistung entspricht, ist utopisches Denken und gehört der Vergangenheit an. Die beste Art, mit Bauablaufstörungen umzugehen ist die, diese überhaupt nicht erst entstehen zu lassen bzw. Möglichkeiten zu nutzen, die Auswirkungen von Bauablaufstörungen zu reduzieren bzw. auf ein für alle verträgliches Minimum zu begrenzen.

Der VDI bietet diesbezüglich eine ganze Reihe hervorragender Seminare an, um seinen eigenen Horizont zu erweitern und sich passend für die Dinge aufzustellen, die garantiert kommen werden.

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Über den Autor:

Dr.-Ing. Martin Lücke, Projektleiter, Univ.-Prof. Dr.-Ing. Mike Gralla GmbH, Ingenieurbüro für Bauberatung, Düsseldorf

Dr.-Ing. Martin Lücke ist Geschäftsbereichsleiter im Ingenieurbüro „Univ.-Prof. Dr.-Ing. Mike Gralla GmbH“. Er berät dort seit 2010 Auftraggeber und Auftragnehmer in den Kernbereichen des Vertrags- und Nachtragsmanagements sowie der baubegleitenden Projektabwicklung. Sein Schwerpunkt liegt in den Bausparten des Hoch-, Tief-, Ingenieur-, Anlagen- und Infrastrukturbaus mit der Bewertung von gestörten Bau- und Planungsabläufen, Nachtragsforderungen aus Leistungsmodifikationen sowie der Abrechnung gekündigter Bauverträge. Als Lehrbeauftragter ist er zudem an unterschiedlichen institutionellen Einrichtungen tätig und Autor zahlreicher Veröffentlichungen zu baubetrieblichen, bauwirtschaftlichen und baurechtlichen Themen.