Effiziente Methoden für die Fahrzeugaußengeräusch-Entwicklung und -Homologation

Im Rahmen der Fahrzeugentwicklung steigen die Anforderungen an die frühzeitige Prognose und Optimierung akustischer Eigenschaften unter Berücksichtigung gesetzlicher Grenzwerte. Dieser Artikel beschreibt eine neuartige Methodik des IPEK am Karlsruher Institut für Technologie (KIT), welche die Durchführung einer skalierten, simulierten Vorbeifahrtsmessung für alternative Antriebstopologien ermöglicht. Hierfür wird mittels einer akustischen Kamera das akustische Zentrum des Fahrzeugs ermittelt. Ziel ist es, realitätsnahe, normkonforme Außengeräuschmessungen auch in kompakten Prüfstandumgebungen durchzuführen und so Entwicklungszeiten sowie -kosten zu reduzieren.

Bei der Entwicklung und Produktion neuer Fahrzeuge existieren heutzutage viele Vorschriften und Gesetze, die die Hersteller vor neue oder sich ändernde Herausforderungen stellen. Somit steigt der Bedarf an neuen Methoden, welche bereits frühzeitig im Produktentwicklungsprozess, bei einer Betrachtung auf Komponentenebene unterstützen. Durch diese können ungünstige Einflüsse von Teilsystemen des Fahrzeugs auf das Gesamtsystem früher identifiziert und gegebenenfalls vermieden werden. Im Bereich der Lärmemission von Fahrzeugen, sind insbesondere die komplexen Schallübertragungspfade von Komponente, welche zum Außengeräusch beitragen, eine große Herausforderung. Dadurch werden Vorhersagen über die akustischen Auswirkungen von bspw. Bauteiländerungen auf das Gesamtsystem erschwert. Eine abschließende Bewertung und Beurteilung ist daher oft erst nach der Entwicklung des Gesamtfahrzeugs möglich ist. Änderungen und Optimierungen zu diesem Zeitpunkt gehen in der Regel mit hohem Aufwand und Kosten einher. Das IPEK – Institut für Produktentwicklung am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) arbeitet deshalb an zeit- und kosteneffizienten Methoden zur NVH-Entwicklung neuer Antriebskomponenten im Gesamtfahrzeugkontext.
 

Skalierung der simulierten Vorbeifahrtmessung

Relevante Optimierungspotenziale ergeben sich dabei u.a. im Bereich der Homologation von Fahrzeugen bezüglich des Außengeräuschs. Für die Homologation von Kraftfahrzeugen darf deren abgestrahltes Geräusch während einer Vorbeifahrt einen durch den Gesetzgeber definierten Grenzwert nicht überschreiten. Das Vorbeifahrtgeräusch kann unter Laborbedingungen in einer akustischen gedämmten Halle bei der sogenannten simulierten Vorbeifahrt nach DIN ISO 362-3 untersucht werden. Für die Messungen auf dem Prüfstand werden jedoch große Akustikhallen benötigt, deren Bau mit sehr hohen Kosten verbunden sind. Daher gibt es für dieses Verfahren den Ansatz, den Messaufbau so zu skalieren, dass die Messungen auch in kleinen Hallen durchgeführt werden können, um somit Baukosten und Aufwand bei den Versuchen zu verringern (siehe Bild 1, links). Voraussetzung dafür ist, dass die Hauptschallquellen des Fahrzeugs auf einen repräsentativen Punkt, dem sogenannten akustischen Zentrum, zusammengefasst werden. Auf dieses Zentrum kann dann das gesamte Messverfahren skaliert werden. [1]

Bildquelle: Weber, Y., Albert, A., Scaling of the simulated pass-by measurement based on the vehicle's acoustic centre, Inter-Noise, Glasgow, 2022

Bild 1: Versuchsaufbau für die Außengeräusch-Untersuchung eines Brennstoffzellenfahrzeuges auf dem IPEK-Akustikrollenprüfstand mit skaliertem Mikrofonarray (links), akustischer Kamera (rechts oben) sowie Software-Ausgabe der akustischen Kamera (rechts unten) [2,3]

Einsatz einer akustischen Kamera zur Bestimmung der Fahrzeug-Einzelschallquellen

Zur Bestimmung der Einzelschallquellen des Fahrzeugs kommt die am IPEK vorhandene akustische Kamera zum Einsatz (siehe Bild 1, rechts oben). Mit deren Hilfe können die Schallquellen des Fahrzeugs, wie z. B. Reifen, Elektromotor, Getriebe oder Brennstoffzellensystem, identifiziert, lokalisiert und quantifiziert werden (siehe Bild 1, rechts unten). Mithilfe einer am IPEK entwickelten Methode können die identifizierten Einzelschallquellen anschließend für die Berechnung des akustischen Zentrums verwendet werden. Dazu werden die Positionen der Schallquellen mit deren Beitrag zum Gesamtgeräusch in Verhältnis gesetzt und miteinander verrechnet (ähnlich Schwerpunktsatz). Mithilfe der akustischen Kamera kann somit zu jedem Zeitpunkt eines Fahrmanövers der Beitrag der Einzelschallquellen ermittelt und für die Berechnung des akustischen Zentrums berücksichtigt werden. [2]
 

Automatisierte Berechnung des akustischen Zentrums

In einem am IPEK entwickelten Softwaretool (siehe Bild 2, links) wird anschließend das akustische Zentrum für jeden beliebigen Zeitpunkt eines Fahrmanövers und für verschiedene Betriebszustände des Fahrzeugs berechnet und angezeigt. So kann eine kontinuierliche oder abrupte Verschiebung des akustischen Zentrums bei instationären Fahrzuständen (z. B. Beschleunigungsmanöver oder Start/Stopp des Verbrennungsmotors) dargestellt werden. Die berechneten Daten können exportiert und für die Skalierung des Messaufbaus der simulierten Vorbeifahrtmessung verwendet werden. [2] 
Für eine computergestützte Skalierung des Messaufbaus wird ebenfalls ein am IPEK entwickeltes Tool eingesetzt (siehe Bild 2, rechts). Die Positionsdaten des akustischen Zentrums können entweder direkt aus dem Tool zur Berechnung des akustischen Zentrums importiert oder manuell in der grafischen Benutzeroberfläche eingegeben und für die Skalierung verwendet werden. Im Fall eines sich über der Zeit ändernden akustischen Zentrums, welches bei den genannten instationären Fahrzuständen auftritt, ergibt sich ebenfalls eine über der Zeit variable Skalierung. [3]

Bild 2: Am IPEK entwickelte Matlab®-Tools für die automatisierte Berechnung des akustischen Zentrums (links) und zur Skalierung der simulierten Vorbeifahrtmessung (rechts) [2,3].


Verifikation der Methode zur Skalierung

Nach der erfolgreichen Berechnung der skalierten Mikrofonpositionen und -höhe können die simulierten Vorbeifahrtmessungen mit dem skalierten Messaufbau auf dem Akustikrollenprüfstand durchgeführt werden. In Bild 3 sind exemplarisch gemittelte Schalldruckkurven bei der simulierten Vorbeifahrtmessung für den unskalierten und skalierten Messaufbau abgebildet. Der Vergleich zeigt, dass die vorgestellte Methode sehr gut dafür geeignet ist, den Messaufbau der simulierten Vorbeifahrtmessung zu skalieren. Sowohl die Position, als auch die Höhe des Maximalschalldruckpegels liegen nahe beieinander. Der Unterschied zwischen den Maximalschalldruckwerten liegt innerhalb des Schwankungsbereichs der Einzelmessungen und liegt innerhalb der von der Norm DIN ISO 326-1 zugelassenen Toleranz.

Bild 3: Vergleich der gemittelten Schalldruckpegelkurven (gemittelt über jeweils 30 Einzelmessungen) für die skalierte (rot) und unskalierte (blau) simulierte Vorbeifahrtmessung mit Volllastbeschleunigung ab 50 km/h [3].

Im nächsten Schritt soll eine Methode entwickelt werden, mit deren Hilfe die identifizierten Einzelschallquellen virtuell ausgetauscht oder neue Schallquellen hinzugefügt werden können. Damit können Änderungen an Komponenten, bspw. im Rahmen einer Produktgenerationsentwicklung, am physischen Restfahrzeug der vorherigen Generation simuliert und deren akustische Auswirkung auf das Gesamtfahrzeuggeräusch untersucht werden. Somit sollen schon frühzeitig im Produktentwicklungsprozess Vorhersagen über das Fahrzeugaußengeräusch ermöglicht werden, ohne auf teure Prototypen zurückgreifen zu müssen.

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Über die Autoren:

M.Sc., Yannik Weber, Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Forschungsgruppe NVH, IPEK – Institut für Produktentwicklung am Karlsruher Institut für Technologie (KIT)

Sascha Ott, Direktor am IPEK-Institut für Produktentwicklung am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und Geschäftsführer KIT-Zentrum Mobilitätssysteme

Quellen

[1] Robens, G., Ein Handlungssystem zur Skalierung der simulierten Vorbeifahrt mittels Mikrofonarray für eine effiziente Validierung in kleinen Halbfreifeldräumen im Fahrzeugentwicklungsprozess, IPEK Forschungsbericht Band 61, Hrsg.: o. Prof. Dr.-Ing. Dr. h.c. A. Albers, ISSN 1615-8113
[2] Weber, Y., Behrendt, M., Gohlke, T., Albert, A., Method for Localisation of Sound Sources and Aggregation to an Acoustic Center, Inter-Noise, Washington, 2021
[3] Weber, Y., Albert, A., Scaling of the simulated pass-by measurement based on the vehicle's acoustic centre, Inter-Noise, Glasgow, 2022